Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 23

86 | GESELLSCHAFT HILFSEINSATZ AUF DER GLOBAL MERCY „Ich lerne hier Selbstwirksamkeit“ Christina Schwander Mein Name ist Christina Schwander, ich bin 30 Jahre alt und leite seit dem Sommer auf dem größten zivilen Hospitalschiff vor der Küste Westafrikas das zahnärztliche Team an Bord. Für zwei Jahre habe ich dafür mein altes Leben hinter mir gelassen. Wir können auf dem Schiff bestens ausgestattet vielen Menschen in Not helfen. Aber ich vermisse auch meine persönlichen Freiheiten und Freunde. Vor zehn Jahren noch war ich mir meiner Berufswahl gar nicht so sicher. Ich hätte auch Geografin oder Sozialwissenschaftlerin werden können. Letztlich wollte ich aber praktisch und nah am Menschen arbeiten, in einem Beruf, der überall relevant ist. Deshalb habe ich die Zahnmedizin gewählt und mich nach meiner Assistenzzeit für ein Curriculum in der Oralchirurgie entschieden, was mir für diesen Weg dienlich erschien. Als dann im Frühjahr die internationale Organisation Mercy Ships bei mir anfragte, bewarb ich mich. Zwei Wochen später flog ich nach Westafrika zu einer Stippvisite, die mich in meinem Vorhaben bestärkte. Dann folgten Impfungen, Organisatorisches und Werbung für das Projekt – und Abschiedsbesuche. Nun bin ich seit vier Monaten an Bord. Noch immer lebe ich mich ein, finde neue Routinen heraus, wachse in meiner Rolle als Leiterin eines Teams, in dem Personalwechsel an der Tagesordnung sind. Ich kann mitgestalten, ausprobieren und ein gutes Arbeitsklima prägen. Unsere Arbeit zeichnet sich durch Effizienz, Qualität und gute Beziehungen aus – dies ist umso wichtiger, da wir ein multikulturelles Team formen, bei dem verschiedene Arbeits- und Kommunikationsstile aufeinandertreffen. Nachkontrollen sind kaum organisierbar Die Zahnmedizin hier sieht anders aus als zu Hause. Prothetik fällt praktisch ganz weg – auch deswegen, weil wir an Bord kein Dentallabor und keine -techniker haben. Wir konzentrieren uns hier auf chirurgische, konservierende und präventive Zahnheilkunde. Für die meisten Menschen sind die Behandlungen nicht bezahlbar, obwohl die Kosten umgerechnet im einstelligen Bereich liegen. Viele der Zähne, die wir entfernen, sind nur noch Wurzelreste. In Extremfällen entfernen wir bei einem Patienten bis zu zwölf Zähne beziehungsweise Wurzelreste. Wir nähen mit resorbierbaren Fäden, geben jedem Patienten Schmerzmittel und ausführliche postoperative Verhaltensanweisungen mit. Die Nachkontrolle bleibt meistens aus, weil das organisatorisch nicht machbar ist. Viele unserer Patientinnen und Patienten reisen aus weit entfernten Teilen des Landes an und sind nicht alle für mehrere Tage hier unterzubringen. Das fordert mich manchmal heraus, so wenig nachbetreuen zu können und keine Rückmeldung zu bekommen. Keine Möglichkeit zu haben, Zähne in irgendeiner Form zu ersetzen, insbesondere bei jungen Menschen. Oder auch nur im Ansatz funktionstherapeutisch gesunde Okklusionen herstellen zu können. Es geht in erster Linie darum, Infektionsherde auszuräumen oder ihnen vorzubeugen. Viele Fälle, die in unserer MKG-Abteilung behandelt werden, sind tragische Verläufe, deren Ursachen in jahrelang persistierenden, unbehandelten Infektionen dentalen Ursprungs liegen. So stellte sich vor Kurzem eine junge Frau mit einer Schneidekantendistanz von zwei Millimetern bei vollständiger Kieferklemme vor. Sie ernährte sich seit drei Jahren von Brei, den sie durch die Zähne einsaugte. Bildgebend stellte sich eine massive Ankylose des rechten Kiefergelenks dar. Ihrer Beschreibung zufolge ging diesem Verlauf ein schmerzender Molar im rechten Unterkiefer voraus. Da die wenigsten Patienten gut genug Englisch für eine klare Verständigung sprechen, arbeiten wir mit Übersetzern. Fast alle meine Patienten, ob jung oder alt, machen bei uns die erste Zahnarzterfahrung ihres Lebens. Sie hören zum ersten Mal davon, dass es wichtig ist, zm114 Nr. 23-24, 01.12.2024, (2056) Die Global Mercy ist das größte zivil betriebene Krankenhausschiff der Welt: 174 Meter lang, 28,6 Meter breit und 37.000 Tonnen schwer. Das Schiff bietet Platz für 200 Patienten. Bei voller Besetzung sind 950 Menschen an Bord. Foto: ©2021 Mercy Ships Christina Schwander Zahnärztin im Einsatz als zahnärztliche Leiterin auf der Global Mercy Foto: Christina Schwander / Mercy Ships

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