zm115 Nr. 01-02, 16.01.2025, (41) MEDIZIN | 43 mäßig täglich zu mir nehme, muss ich mit negativen Konsequenzen rechnen. Für Zucker hat das die WHO ziemlich deutlich formuliert: Es sollten – wenn überhaupt – unter 25 Gramm Zucker pro Tag sein. Zu den in der Frage formulierten negativen Folgen von Süßstoffenkommt noch die Modulation des intestinalen Mikrobioms und des Appetits hinzu. Interessanterweise gibt es Studien, die sogar eine Gewichtszunahme durch Süßstoff-gesüßte Getränke zeigen, da sie wohl den Appetit anregen. Nach der Darstellung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) ist außerdem völlig offen, was die kombinierte Aufnahme verschiedener Zuckerersatzstoffe im Körper auslöst. Wie sollten sich Verbraucher ihrer Meinung nach verhalten? Das Beste ist ein Vermeiden dieser Stoffe. In der Regel sind das ja sowieso Kunstprodukte, die keinen weiteren Nutzen für den Körper haben. Von den geringen Dosen, die beispielsweise in einer Zahnpasta oder in einem Hustenbonbon vorkommen, gehen aus meiner Sicht keine Gefahren aus. Zumindest ist dies wissenschaftlich noch nicht dargestellt. Aktuell führt die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine Neubewertung von 11 der 21 in der EU zugelassenen Süß- und Zuckerersatzstoffe durch. Womit rechnen Sie? Ich rechne nicht mit Überraschungen. Zum einen weil die angesprochene Evidenz häufig noch dünn ist und zum größten Teil auf Tierstudien oder In-vitro-Studien beruht und es sind auch keine Tiere gestorben. Zum anderen haben sowohl die Zuckerals auch die Süßstoffindustrie eine finanzstarke Lobby, die kein Interesse an Veränderungen hat. Das ist sehr einfach über das Lobbyregister des Bundestages einzusehen. Was würden Sie vor diesem Hintergrund Eltern für ihre Kinder empfehlen – wenn Süßigkeiten, dann mit Zucker oder Süßstoffen gesüßt? Und wie bewerten Sie die mit dem Zahnmännchen ausgezeichneten zuckerfreien Produkte? Ich empfehle, sowohl Zucker als auch Süßstoffe zu vermeiden. Gerade bei Kindern geht es um eine Gewöhnung an gesunde und ungesüßte Lebensmittel – wenn überhaupt dann Obst als Süßspeise. Aktuell werden Kinder an eine „gezuckerte“ Umwelt gewöhnt, aber es muss nicht immer alles süß sein. Je früher man das lernt, umso besser für die Gesundheit. Vor allem Getränke sollten ungesüßt sein, da gezuckerte Getränke in den Studien die größten negativen Folgen aufweisen (wie Karies, Gingivitis, Übergewicht, Herz-KreislaufErkrankungen) und Süßstoff-gesüßte Getränke vermutlich den Appetit anregen. Ob allerdings der Kuchen am Sonntag nun mit Zucker oder Süßstoff gesüßt ist, spielt vermutlich keine gesundheitliche Rolle. Das Zahnmännchen hat ja ein ehrenhaftes Ziel, nämlich Süßstoffe dem Zucker vorzuziehen, um Zähne vor Karies zu schützen. In Anbetracht der wahrscheinlichen anderen negativen Konsequenzen von Süßstoffenundeiner generellen „Entsüßung“ gilt aber auch hier: Weniger ist mehr. Am besten konsumiert man Lebensmittel, die überhaupt nicht ausgezeichnet sind, nämlich Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte, Nüsse, Samen – also „echte“ Lebensmittel. Das Gespräch führte Marius Gießmann. In der Auswertung werden 23 Studien aufgeführt, die sich – mit unterschiedlichen Ergebnissen – mit den Auswirkungen von Süßstoffen auf das Darmmikrobiom, das Risiko chronischer Erkrankungen, Krebs und Insulinresistenz sowie der Gesamtmortalität und deren Ökotoxizität beschäftigen. Zudem bleibe ungeklärt, welche Folgen der Eintrag der 19 in der EU zugelassenen und nur teilweise oder gar nicht verstoffwechselbaren künstlichen Süßungsmittel auf den Wasserkreislauf hat. Wie viel Süßstoff Trinkwasser enthält, ist unklar! „Die Umweltauswirkungen der synthetischen Substanzen, die offenbar weder im Körper noch in Kläranlagen abgebaut werden können, sind derzeit noch nicht absehbar“, resümiert der wissenschaftliche Dienst die Lage. „Studien zu Umweltkonzentrationen belegen, dass insbesondere die Süßstoffe Acesulfam, Cyclamat, Saccharin und Sucralose in hohen Konzentrationen im Wasserkreislauf, d. h. in Abwässern, im Grundwasser, Meerwasser und Leitungswasser verbreitet sind.“ Die Trinkwasserverordnung sehe zwar vor, dass keine chemischen Stoffe in Konzentrationen enthalten sein dürfen, die eine Schädigung der menschlichen Gesundheit nach sich ziehen, eine Analyse des Trinkwassers auf Süßstoffe erfolge durch die Wasserversorger jedoch trotzdem nicht. Der Süßstoff-Verband sieht darin kein Problem: Bei den im Grundwasser nachgewiesenen Süßstoffen handele es sich um Cyclamat, Saccharin, Sucralose und Acesulfam K, die gefundenen Mengen variierten je nach Beprobungsstelle, bewegten sich „aber immer im niedrigen Mikrogrammbereich“. Und da Acesulfam K „nach neueren Erkenntnissen von Bakterien in der Natur langsam abgebaut werden kann“, sei eine Anreicherung des Süßstoffs im Trinkwasser „unwahrscheinlich“. mg Shil A. et al.: The artificial sweetener neotame negatively regulates the intestinal epithelium directly through T1R3-signaling and indirectly through pathogenic changes to model gut bacteria. Front Nutr. 2024 Apr 24;11:1366409. doi: 10.3389/ fnut.2024.1366409. PMID: 38721028; PMCID: PMC11078302. „Wir sind weder für 100 g Zucker pro Tag noch für dieselbe Menge Süßstoff ausgelegt.“ Prof. Johan Wölber
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