34 | TITEL sowie Langeweile [Lee und Lipner, 2022]. Vorbestehende Risikofaktoren für die Entwicklung einer Onychophagie sind spröde, dünne oder rissige Nägel, die Neigung an den Nägeln herumzuspielen und eine Nagelhaut, die sich leicht entzündet. Zusätzlich spielt das Nachahmen von Eltern und Geschwistern (Modelllernen) eine Rolle in der Entwicklung einer Onychophagie [Erdogan et al., 2021]. Betroffene berichten im Vergleich zu anderen BFRBDs über einen besonders starken Drang, das Nägelkauen auszuführen. Vor dem Verhalten wird oft über eine große Anspannung berichtet, der ein Gefühl der Erleichterung folgt [Lee und Lipner, 2022]. Das Kauen an den Nägeln wird selbst von Experten oft als schlechte Angewohnheit ohne echten Störungswert abgetan. Im Fall von starken Schäden ruft das Verhalten jedoch teilweise erhebliches Leid und/oder Beeinträchtigungen in wichtigen Lebensbereichen hervor und sollte als Verhaltensstörung diagnostiziert werden. Onychophagie schädigt auf der einen Seite die Nägel, was eine dauerhafte Störung des Nagelwachstums nach sich ziehen kann. Auf der anderen Seite kann es auch zu Schäden am Zahnfleisch und an den Zähnen führen; dazu gehören Zahnfleischverletzungen, die in Schwellungen und Entzündungen der Gingiva münden können. Aufgrund der Auslenkung der Schneidezähne beim Nägelkauen kann es bei gleichzeitiger Kraftapplikation durch eine Zahnspange zum „Jiggling“ und damit zu Wurzelresorptionen kommen [Odenrick et al., 1983]. Des Weiteren kann Onychophagie zu Abrasionen bis hin zur Absplitterung der Schneidezähne führen; auch Einzelzahnfehlstellungen kommen vor. Hinzu kommen Berichte über Schmerzen im Kiefergelenk bei chronischer Onychophagie sowie die Gefahr der Übertragung von Herpesinfektionen [Lee und Lipner et al., 2022]. Wach-Bruxismus Wach-Bruxismus zählt im Unterschied zu Bruxismus im Schlaf ebenfalls zu den BFRBDs. Darunter versteht man eine wiederholte Kaumuskelaktivität, gekennzeichnet durch Kieferpressen und Zähneknirschen und/oder Anspannen oder Verschieben des Unterkiefers ohne Zahnkontakt. Viele Betroffene sind sich des Verhaltens nicht bewusst. Nach der eigenen vorgenannten Prävalenzstudie mit 1.481 Probanden sind 3,7 Prozent der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens von klinischem Wach-Bruxismus betroffen [Moritz et al., 2023a]. Die Punktprävalenz liegt bei schätzungsweise 26,5 Prozent [Lange, 2016]. Die Risikofaktoren sind in erster Linie psychosozial, etwa Stress. Zu den Folgen zählen neben Kopfschmerzen und Schwindel auch Hypertrophien und Schmerzen in der Kaumuskulatur (Myalgien). Zudem werden Attritionen beobachtet [siehe auch LL „Diagnostik und Therapie von Bruxismus“, 2019]. Betroffene berichten von Kiefergelenkknacken, Problemen bei der Mundöffnung (zum Beispiel beim Gähnen) und Okklusionsstörungen [Saulue et al., 2015]. Daumenlutschen bei Erwachsenen Daumenlutschen bei Erwachsenen wird von den meisten Forschenden ebenfalls zu den BFRBDs gezählt. Das Fortbestehen dieses Verhaltens aus der Kindheit ins Erwachsenenalter ist eher selten und vermutlich auf erhöhte Stress- oder Angstlevel zurückzuführen [Shetty et al., 2015]. In der oben genannten Studie zeigte sich eine Lebenszeitprävalenz von 1,3 Prozent [Moritz et al., 2023a]. Die Punktprävalenz wird auf 4,7 bis 6,3 Prozent geschätzt [Ganapathi et al., 2021]. Bei persistierendem Daumenlutschen kann es zu Zahnund Kieferfehlstellungen kommen sowie zur forcierten Ventralentwicklung des Oberkiefers und der Protrusion der oberen Schneidezähne. Außerdem wird der Unterkiefer in seinem Wachstum gehemmt und die unteren Schneidezähne werden retrudiert. Durch die Einlagerung des Daumens zwischen den Zahnreihen kann ein frontal offener Biss entstehen, der sich skelettal manifestieren und kaufunktionelle sowie Sprechprobleme zm115 Nr. 04, 16.02.2025, (228) Abb. 2: Illustration der Auswirkungen vom Saugen am Daumen auf das Gesicht und den Kiefer Foto: Moritz et al. ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden.
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=