64 | PRAXIS EXPERT DEBRIEFING Den Erfahrungsschatz sichern Wer viele Jahre bei demselben Arbeitgeber arbeitet, häuft oft einen riesigen Erfahrungsschatz an – meist, ohne sich selbst darüber bewusst zu sein. Mit einem „Expert Debriefing“ können Chefs versuchen, das Wissen scheidender Kolleginnen und Kollegen für das restliche Team zu bewahren. Vier von zehn Beschäftigten über 25 Jahre arbeiten nach Angaben des Statistischen Bundesamts schon seit mindestens zehn Jahren in ihrer aktuellen Anstellung. In diesem Zeitraum spielen sich Routinen ein, die für effiziente Abläufe sorgen. Für den zahnärztlichen Bereich kann Trainerin Dr. Susanne Woitzik das bestätigen: „Erfahrene ZFA wissen, wie sie die Praxis auf einen möglichst stressfreien Tag vorbereiten und wo sich Zeit sparen lässt. Sie wissen über die medizinischen Besonderheiten einzelner Patientinnen und Patienten genau Bescheid und können den Behandlungsraum entsprechend vorbereiten.“ Und natürlich greifen sie sofort zum richtigen Formular, und wenn der Steri im laufenden Betrieb ausfällt, unternehmen sie auch sofort die notwendigen Schritte, um den Betrieb bis zur Reparatur des Geräts aufrechtzuerhalten. „Diese Zeitmanagement-Tricks sind dem restlichen Team – insbesondere neuen Mitarbeitenden – oft unbekannt“, so Woitzik. Unbewusstes in Worte fassen Der Fortgang langjähriger Teammitglieder kann den organisatorischen Ablauf einer Praxis stören, erklärt die Trainerin, die schon viele Jahre zahnärztliche Praxen betreut. Das zu verhindern, indem man ihre Kenntnisse rechtzeitig dokumentiert und so nutzbar macht, ist Ziel eines Expert Debriefings. Wörtlich aus dem Englischen übersetzt bedeutet der Begriff „Debriefing“ so viel wie Nachbesprechung. Im Arbeitskontext ist mit Debriefing auch die Einarbeitung einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers gemeint. Das sei leichter gesagt als getan, betont Woitzik, denn bei vielen Kenntnissen handele es sich um nirgendwo niedergeschriebenes, individuell abgespeichertes Wissen. Hinzu kommt, dass sich die Mitarbeitenden über den Wert ihrer Erfahrungswerte nicht in vollem Umfang bewusst sind. „Das liegt zum Beispiel daran, dass die täglichen Arbeitsabläufe stark intuitiv und quasi automatisiert angewendet werden. Aber: Was für langjährige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einfach und offensichtlich erscheint, ist für Neueinsteiger möglicherweise kompliziert und undurchsichtig.“ Für das Expert Debriefing unterscheidet Woitzik zwischen Prozesswissen und implizitem Wissen: Prozesswissen bezieht sich auf die Kenntnis standardisierter Abläufe, wie sie etwa in Protokollen, Handbüchern oder Checklisten beschrieben sind. Es umfasst strukturiert alle Schritte, die notwendig sind, um eine Aufgabe erfolgreich zu erledigen. Dieses Wissen ist im Qualitätsmanagement einer Praxis explizit dokumentiert und leicht vermittelbar, weil es auf klaren Regeln und Anweisungen basiert. Mitarbeitende, die über Prozesswissen verfügen, können bei hoher Patientenfrequenz die Termine so koordinieren, dass Wartezeiten minimiert und Notfallpatientendennochintegriert werden können. Sie wissen, wie man Abrechnungsfehler vermeidet und saisonale Schwankungen in der Materialnutzung einplant. Implizites Wissen ist oft das Ergebnis langjähriger Routine und entwickelt sich durch „Learning by doing“. Die Mitarbeitenden merken oft selbst nicht, dass sie über dieses Wissen verfügen – bis sie darauf angesprochen werden. Da es nicht auf standardisierten Schritten basiert und stark situationsabhängig ist, lässt sich diese Art Know-how nur schwer in Checklisten übertragen. Ein Beispiel ist das Gespür langjähriger Mitarbeitender für die Bedürfnisse und Ängste von Patientinnen und Patienten. Dieses Verständnis geht über erlernbare Kommunikationstechniken hinaus. Prozesswissen und implizites Wissen ergänzen sich und tragen beide zu Effizienz und Qualität bei – das Prozesswissen, indem es für eine reibungslose Abwicklung im Alltag sorgt und für alle im Team greifbar ist. „Implizites Wissen hingegen sorgt bei Herausforderungen, die vom Standard abweichen, für flexible Lösungen“, unterscheidet Woitzik. „Mitarbeitende, die über implizites Wissen verfügen, können schnell und sicher auf unerwartete Situationen reagieren, da sie aus einem großen Erfahrungsschatz schöpfen. Dieses Wissen sichert also auch unter herausfordernden Bedingungen eine hohe Servicequalität und erhält das Vertrauen der Patientinnen und Patienten.“ Abläufe definieren Coachin Woitzik schlägt für das Expert Debriefing folgenden Ablauf vor: 1. Vorbereitung: In dieser Phase werden die Befragungsschwerpunkte geklärt. Als Themen kommen Praxisorganisation, Patientenmanagement, Teamführung, Zusammenarbeit mit der Praxisleitung und externen Kontaktpersonen oder besondere Herausforderungen, die bewältigt wurden, infrage. In den Debriefings, die Woitzik in der Vergangenheit geleitet hat, lag der Fokus beispielsweise auf dem Termin-, Notfallund Engpassmanagement. 2. Expert Debriefing: Im Gespräch mit den scheidenden Mitarbeitenden werzm115 Nr. 04, 16.02.2025, (258)
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