Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 6

16 | ZAHNMEDIZIN Milchpulver bis zum sechsten Lebensmonat. Die Eltern mussten Angaben zur Anzahl der durchgebrochenen Zähne bei ihren Kindern bis zum vierten Lebensmonat machen. Darüber hinaus wurde die Anzahl der Kinder, bei denen Zahnkaries diagnostiziert worden war, und die Anzahl der Eltern, die über subjektive Symptome und Zahnkaries berichteten, sowie die Anzahl der Probanden, die vor der Untersuchung Antibiotika nahmen, dokumentiert. Die detaillierte Beschreibung der Analysemethoden zur Identifikation der Bakterien (next generation sequencing) und die Datenanalyse können der Originalarbeit entnommen werden. Ergebnisse Nimmt man die üblicherweise bei mehr als 85 Prozent der Mütter und der Väter nachgewiesenen 110 taxonomischen Einheiten als repräsentative Hauptbestandteile der bakteriellen Besiedelung der Mundhöhle für Erwachsene an, so wurden diese bei 25 Prozent der Kinder, die eine Woche alt waren, bereits nachgewiesen. Nachfolgend stieg der Anteil dieser Bakterien auf 80 Prozent zwischen dem sechsten und dem 18. Monat an und erreichte nach 36 Monaten einen Wert von etwa 90 Prozent. Bei Babys, die eine Woche alt waren, konnten nur wenige Bakterienarten (Streptokokken, Rothia und Gemella) nachgewiesen werden, die auch später als sogenannte Hauptbesiedler zu finden waren. Im Alter zwischen sechs und 18 Monaten stiegen die Nachweisraten verschiedener Hauptbakterien, darunter Neisseria, Hämophilus und Fusobacterium an. Die Zusammensetzung des oralen Mikrobioms näherte sich also bei Kindern zwischen dem sechsten und dem 18. Monat dem von Erwachsenen an und war mit 36 Monaten mit dem von Erwachsenen vergleichbar. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die ersten 36 Lebensmonate (insbesondere in der Periode von sechs bis 18 Monaten), ein Zeitfenster für die Ausbildung des oralen Mikrobioms darstellen. Da das Mikrobiom der 36 Monate alten Kinder dem der Erwachsenen gleicht, kann die Entwicklung der mikrobiellen Zusammensetzung in dieser Zeit für die zukünftige Prävention von oralen Erkrankungen entscheidend sein. So ist bekannt, dass Neisserien das Risiko für die Entstehung einer Karies reduzieren können, während F. nucleatum eine wichtige Rolle bei der mikrobiellen Aggregation auf den Zähnen spielt und mit der Entstehung von Parodontalerkrankungen in Verbindung gebracht wird. Es ist daher sinnvoll, schon direkt ab dem Milchzahndurchbruch mit einer sorgfältigen Mundhygiene zu beginnen. Diskussion Auch wenn in der vorliegenden Studie herausgestellt wird, dass es eine Art grundlegendes orales Mikrobiom gibt, so gleicht dessen individuelle Zusammensetzung später dem Fingerabdruck jedes einzelnen Menschen. Denn im Laufe des Lebens wird dieses primäre Mikrobiom durch zahlreiche Einflussfaktoren, zum Beispiel Ernährungsumstellungen, Rauchen, Stress, Medikamenteneinnahme, geformt. Wenn es allerdings „gereift“ ist und sich den individuellen ökologischen Bedingungen der Mundhöhle angepasst hat, ist es sehr stabil. Dann haben neue Bakterien kaum noch eine Chance sich zu etablieren. Das erklärt auch, warum der Einfluss antimikrobieller Wirkstoffeaufdie Zusammensetzung des oralen Mikrobioms gering ist. Eine ältere Studie konnte in diesem Zusammenhang zeigen, dass zusammenlebende Partner zwar Ähnlichkeiten bezüglich des oralen Mikrobioms aufweisen, dass aber selbst nach neunmaligem intensivem Küssen für zehn Sekunden die Keime des jeweiligen anderen nur transient im Mund zu finden waren [Kort et al., 2014]. Bakterien haben primär ein symbiotisches Verhältnis zu ihrem Wirt. Es gibt zwar bei den meisten Menschen einige mit Karies und Parodontitis assoziierte Keime, die aber erst krankheitsauslösend werden, wenn sie im dentalen Biofilm zunehmen und sich die lokalen Umweltbedingungen in der Mundhöhle ändern, das heißt dysbiotisch werden. Selbst nach Karies- und Parodontitistherapie bleibt das orale Mikrobiom dann dysbiotisch und damit das Risiko einer Neuerkrankung erhöht [Yama et al., 2023]. Letztlich lässt sich also das Mikrobiom und damit auch der dentale Biofilm nur durch Vermeidung der gesundheitsschädigenden Verhaltensweisen (also ökologisch) – begleitet von einer zielgerichteten Mundhygiene – wieder in ein gesunderhaltendes Gleichgewicht bringen. Wer sich eingehend mit dem Thema „Orales Mikrobiom“ beschäftigen möchte, sei auf die Publikation von M. Kilian et al: The oral microbiome – An update for oral healthcare professionals“, British Dental Journal 221, 657666, 2016 verwiesen. „ Die Studie: Yama K, Morishima S, Tsutsumi K, Jo R, Aita Y, Inokuchi T, Okuda T, Watai D, Ohara K, Maruyama M, Chikazawa T, Iwamoto T, Kakizawa Y, Oniki T.: Oral microbiota development in the first 60 months: A longitudinal study. J Dent Res. 2024,103:1249-1257. zm115 Nr. 06, 16.03.2025, (402) AUS DER WISSENSCHAFT In dieser Rubrik berichten die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats der zm regelmäßig über interessante wissenschaftliche Studien und aktuelle Fragestellungen aus der nationalen und internationalen Forschung. Die wissenschaftliche Beirat der zm besteht aus folgenden Mitgliedern: Univ.-Prof. (a.D.) Dr. Elmar Hellwig, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (bis 31.12.2023) Univ.-Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen, Universität Bonn Univ.-Prof. Dr. Florian Beuer, Charité – Universitätsmedizin Berlin Univ.-Prof. Dr. Dr. Peer W. Kämmerer, Universitätsmedizin Mainz Univ.-Prof. (a.D.) Dr. med. dent. Elmar Hellwig Erzherzogstr. 8, 79102 Freiburg Foto: privat

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