Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 6

zm115 Nr. 06, 16.03.2025, (432) 46 | TITEL Bei den Parodontalerkrankungen ist erneut eine hohe Erkrankungslast festzustellen. Ganz einfach fällt der Vergleich zu den Vorgängeruntersuchungen nicht. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass eine neue Klassifikation der Parodontalerkrankungen eingeführt wurde. Außerdem ist in der Zwischenzeit eine neue Behandlungsrichtlinie in der gesetzlichen Krankenversicherung gültig, so dass Parodontitis heute in der Praxis anders behandelt wird als zu Zeiten der DMS V. Wir gehen aber davon aus, dass die Änderungen in der Behandlungsrichtlinie zu frisch sind, als dass sich deren Ergebnisse bereits in epidemiologischen Studien niederschlagen. Wir sehen aber folgenden Trend: Die Menschen in Deutschland behalten viel mehr Zähne im Mund als früher – und im Alter steigt auch der Anteil der Parodontalerkrankungen. Das erscheint logisch, weil nur ein erhaltener Zahn auch krank werden kann: „Teeth at risk“ nennen wir das. Früher waren viele Senioren zahnlos, da gab es auch keine Parodontitis. Dieses Ergebnis ist für mich ein klares Signal, dass wir auch die Prävention im Alter nach vorne stellen müssen. Dies haben wir bei den Kindern vor 35 Jahren für die Karies getan – und die Ergebnisse sind beeindruckend. Ich stelle mir den gleichen Siegeszug bei der Parodontitis vor, wenn auch im Alter die zahnmedizinische Maxime die Prävention sein könnte. Dieses Ziel scheint mir aber viel schwieriger zu erreichen zu sein, weil die allgemeine Gesundheitslage und die Präsenz von Risikofaktoren dort viel komplexer sind als bei Kindern. Ein weiterer Untersuchungsschwerpunkt war die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation, kurz MIH, bei älteren Kindern. Dabei gab es Unterschiede zur DMS V. Können Sie diese erläutern? Zunächst einmal handelt es sich vermutlich gar nicht um eine wirklich neue Erkrankung. Aber die Aufmerksamkeit ist in Deutschland seit unserer letzten DMS-Studie darauf gelenkt worden. Das ist gut so, denn die betroffenen Personen können sowohl kosmetische als auch funktionelle Einbußen haben. Auch können die MIHZähne so empfindlich sein, dass es schon schmerzhaft ist, sich die Zähne zu putzen. Vor der Präventionsära war die Karieslast bei den Kindern so groß, dass häufig die großen Backenzähne kurz nach ihrem Zahndurchbruch erste Amalgamfüllungen erhalten haben. So war die MIH vermutlich frühzeitig von einer Füllung „maskiert“ und gar nicht mehr zu erkennen. Es ist auch denkbar, dass überhaupt einige Füllungen wegen einer ausgeprägten MIH so früh entstanden sind. Die wissenschaftliche Systematisierung der MIH als eigenständiges Krankheitsbild hat erst um die Jahrtausendwende stattgefunden. Mittlerweile sind wir besser in der Lage, die MIH von anderen Erkrankungen mit ähnlichem Erscheinungsbild zu unterscheiden. In der aktuellen DMS • 6-Studie liegt die Verbreitung der MIH hierzulande im weltweiten Vergleich im oberen Mittelfeld. Ich denke, dass wir jetzt der tatsächlichen Verbreitung recht nahe gekommen sind in unserer Untersuchung. Die Ursachen von MIH sind bisher nicht geklärt. Was kann die Zahnärzteschaft tun, um Betroffene bestmöglich zu versorgen? Danke für die Frage. Da wir die Ursachen noch nicht kennen, sind wir eben auch nicht in der Lage, sie im Sinne der Primärprävention zu verhindern. Aber wir können im Sinne der Sekundärprävention Früherkennung betreiben. Da es sich um eine entwicklungsbedingte Erkrankung handelt, die ihren Entstehungszeitpunkt um die Geburt und bis ins erste halbe Lebensjahr hat und in der Regel die bleibenden Zähne betrifft, ist ein Screening auf MIH ab dem sechsten Lebensjahr (dem Zeitpunkt des Zahndurchbruchs der ersten Molaren) bis zum zwölften Lebensjahr (dem Zeitpunkt des Zahndurchbruchs der zweiten Molaren) sicher sinnvoll. Eine Handreichung – auch als Entscheidungshilfe für die zahnärztliche Praxis – entwickeln wir gerade am IDZ und sie wird den Zahnarztpraxen voraussichtlich Anfang des nächsten Jahres zur Verfügung gestellt. Welche Bereiche der zahnmedizinischen Versorgung wurden in der DMS • 6 erstmals beleuchtet? Wie schon erwähnt haben wir erstmalig auch Studienteilnehmende der DMS V erneut untersucht und können die Daten nun weit über die deskriptive Epidemiologie auswerten und analytische Fragestellungen beantworten. Angesichts der weltweiten Flüchtlingsbewegungen der letzten Jahre haben wir außerdem im Rahmen der sozialwissenschaftlichen Befragung dezidierte Informationen zur Migrationsgeschichte erfasst. Regionale Untersuchungen zur Mundgesundheit von Menschen mit Migrationserfahung haben gezeigt, dass die Mundgesundheit auch abhängig ist von der sozialen Prägung. Diese und auch die zahnmedizinische Gesundheitsversorgung kann in anderen Ländern aber ganz anders sein und damit Einfluss nehmen auf die Zahn- und Mundgesundheit. Da es auch ein Ziel unserer Studien ist, Risikogruppen für erhöhte Erkrankungslasten zu identifizieren, haben wir uns dieses Mal im Bereich der Migration besonders bemüht. Ziel ist es ja, besonders die Menschen mit unserer Prävention und Versorgung zu erreichen, deren Zugang erschwert ist. Diesen Menschen müssen wir entgegenkommen. Gab es Ergebnisse, die Sie überrascht haben oder blieb alles im Bereich des Erwartbaren? Zahnverlust sowie die völlige Zahnlosigkeit sind ein Ergebnis sehr langfristiger Entwicklungen, in der Regel von jahrelanger Karies und/oder Parodontitis. Nun ist es zum zweiten Mal hintereinander zu einer Halbierung der völligen Zahnlosigkeit gekommen ist: Lebte 1997 ein Viertel der jüngeren Seniorinnen und Senioren ohne eigene Zähne sind es heute nur noch 5 Prozent. Eine solche sogenannte Morbiditätsdynamik gibt es normalerweise bei chronischen Erkrankungen nicht. Das ist schon eine Überraschung für mich. Das Gespräch führte Sascha Rudat.

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