Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 6

52 | POLITIK INTERVIEW MIT PROF. JOHAN WÖLBER „Die ersten Symptome ungesunder Ernährung sind Karies und Zahnfleischentzündungen!“ Prof. Johan Wölber hat am Positionspapier der Bundeszahnärztekammer zu Ernährungszahnmedizin und Mundgesundheit mitgearbeitet. Für ihn steckt in dem Thema enormes präventives Potenzial – das es auszuschöpfen gilt. Herr Prof. Wölber, warum ist das Thema Ernährungszahnmedizin und Mundgesundheit nicht nur aus gesundheitlicher, sondern auch aus gesundheitspolitischer Sicht wichtig? Die zahnmedizinische Prävention in Form von Plaquekontrolle und Fluoriden hat nachweislich zu einer Reduktion der Krankheitslast geführt, aber wir haben bevölkerungsweit immer noch hohe Prävalenzen an Karies, Gingivitis und Parodontitis – obwohl der größte Teil der Bevölkerung sich regelmäßig die Zähne reinigt. Ernährung ist hier der nächste Schritt. Das Thema ist gesundheitspolitisch so wichtig, weil es ein unheimlich großes Potenzial in medizinischer und zahnmedizinischer Prävention bietet, was wir derzeit in der breiten Zahnärzteschaft überhaupt nicht ausschöpfen. Wir reden bei Ernährung von einem „upstream“-Faktor beziehungsweise einem starken gemeinsamen Risikofaktor. Das heißt, dass Ernährung von frühester Kindheit an für eine Vielzahl von Erkrankungen – dosisabhängig – fördernd wirken kann. Die ersten Symptome einer ungesunden Ernährung sind in der Regel Karies und Zahnfleischentzündungen, lange bevor es zu Parodontitis, Übergewicht, Diabetes Typ 2 und koronaren Herzerkrankungen kommt. Anders als beim Rauchen betrifft Ernährung ausnahmslos alle Menschen. Deswegen ist der Ansatz der BZÄK extrem wichtig, hier die Zahnärzteschaft zu informieren und für das Thema zu gewinnen – sowie gesundheitspolitische Forderungen zu formulieren. Welchen Einfluss hat die Ernährung auf die Mundgesundheit und was sollten Patientinnen und Patienten darüber wissen? Ernährung hat einen zentralen Einfluss auf die Mundgesundheit, der vielen Menschen nicht bewusst ist. Als stärkster gemeinsamer Risikofaktor für Karies und parodontale Erkrankungen kann der Konsum von einfachen prozessierten Kohlenhydraten genannt werden (wie Zucker, Weißmehle, Säfte oder Softdrinks) sowie das Fehlen von Ballaststoffen und Mikronährstoffen. Freie Zucker fördern im oralen Mikrobiom kariogene Prozesse und Gingivitis; sowie Blutzuckerspitzen, Cholesterinbildung, Gewichtszunahme und Entzündungen im Körper. Die Deutschen nehmen derzeit durchschnittlich 90 Gramm Zucker pro Tag zu sich, die WHO nennt – vor allem aus Mundgesundheitsgründen – ein klares Limit von 25 Gramm pro Tag. Für den derartig hohen Konsum von freien Zuckern (also ohne den Zusammenhang mit Ballaststoffen) sind wir evolutionär nicht adaptiert, weder unser Mikrobiom noch unser Metabolismus. Auf der anderen Seite wissen wir mittlerweile: Wenn wir freie Zucker weitgehend vermeiden, senken wir deutlich unser Karies- und Gingivitisrisiko. Aber es geht nicht nur um Zucker, oder? Richtig. Neben dem Thema Zuckervermeidung ist es auch wichtig, auf einen Mehrkonsum von Ballaststoffen und Mikronährstoffen sowie auf ein ausgeglichenes Verhältnis von Omega-3und Omega-6 Fettsäuren zu achten. In der Regel werden zu wenig Omega-3- (wie in Seefisch oder Algenöl enthalten) und zu viele Omega-6-Fettsäuren (wie aus Sonnenblumenöl oder Tierfleisch) konsumiert. Die derzeitigen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung geben da eine wirklich gute Orientierung: eine Fleisch-reduzierte (oder auch vegetarische) Vollwertkost mit vielen Ballaststoffen und Mikronährstoffen. Da Vitamin D nicht zwangsläufig mit der Ernährung zugeführt wird, sollte auch hier auf einen guten Wert geachtet werden. Welche Rolle kommt den Zahnarztpraxen bei der Aufklärung zu? Wenn die Praxen wollen, eine sehr große! Wenn Zahnarztpraxen die etablierten Strukturen der Prophylaxe zur Förderung der fluoridierenden Biofilmkontrolle um Lebensstilfaktoren wie Ernährungsberatung ergänzen, können sie in der Prävention noch mehr zur Mund- und Allgemeingesundheit beitragen. Ihre Therapieergebnisse werden nachhaltiger und die Patientinnen und Patienten profitierten auch von mehr Allgemeingesundheit, beispielsweise in Form von Gewichtsabnahme oder Blutdrucksenkung. Prof. Dr. Johan Wölber, Poliklinik für Zahnerhaltung – Bereich Parodontologie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden Foto: privat zm115 Nr. 06, 16.03.2025, (438)

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