zm115 Nr. 06, 16.03.2025, (456) 70 | ZAHNMEDIZIN Kopf-Hals-Region sein [Gupta et al., 2020]. Charakteristisch für das Wachstum ist die kontinuierliche Anlagerung von Knochenmasse durch appositionelles Wachstum, wobei die knöcherne Neubildung von einem weichgewebigen Anteil des Tumors ausgeht. Diese fortschreitende Ossifikation führt dazu, dass der Condylus und der gesamte aufsteigende Unterkieferast nach unten verlagert werden [Gupta et al., 2020]. Infolgedessen kann es zu einer Veränderung der Bisslage kommen, die sich über Monate hinweg entwickelt. Die resultierende Deviation des Unterkiefers hängt dabei von der Richtung des Tumorwachstums im Verhältnis zur Schädelbasis ab [Reich und Neff,2022]. Radiologisch zeigt sich häufig ein unilateral vergrößerter, deformierter Condylus [Mehra et al., 2016]. Wie im vorgestellten Fall umfasst die klinische Präsentation des Osteochondroms in der Regel eine seitliche Bissöffnung auf der betroffenen Seite, gelegentlich begleitet von einer Laterognathie zur Gegenseite. Zudem kommt es häufig zu einer asymmetrischen Verlängerung des Untergesichts durch das übermäßige Wachstum des Ramus mandibulae, wodurch auch eine Kinnabweichung in die entgegengesetzte Richtung entstehen kann. Interessanterweise treten funktionelle Schmerzen des betroffenen Gelenks nur in seltenen Fällen auf. Die Symptomprogression erstreckt sich meist über mehrere Monate [Reich und Neff, 2022; Poveda-Roda et al., 2013; Gupta et al., 2020; Jeyaray et al., 2016]. Zur Diagnose eines Osteochondroms wird zunächst ein Orthopantomogramm angefertigt, in dem sich das tumoröse Wachstum am Condylus als knöcherne Anlagerung erkennen lässt (Abbildung 1). Liegt der Tumor jedoch medial am Condylus, bleibt er in einer zweidimensionalen Aufnahme möglicherweise verborgen, so dass ergänzende Verfahren wie die Digitale Volumentomografie oder die Computertomografie notwendig sind [Reich und Neff, 2022; Gupta et al., 2020]. Die operative Entfernung des Tumors erfolgt in der Regel über einen präaurikulären Zugang, wobei die knöcherne Verbindung des Osteochondroms zum Condylus durchtrennt und der Tumor reseziert wird. Eine komplette Entfernung des Condylus mit anschließendem alloplastischem Kiefergelenkersatz wurde in zahlreichen Fallberichten beschrieben, gilt heute aber nicht mehr als Therapie der Wahl [Mehra et al., 2016; Almeida et al., 2024]. In den meisten Fällen bleibt der Gelenkkopf nach der Entfernung des Tumors funktionell erhalten [Reich und Neff, 2022; Poorna et al., 2023]. Da sich die Symptome eines Osteochondroms mit anderen pathologischen Prozessen im Kiefergelenk überschneiden können, ist eine gründliche Differenzialdiagnose erforderlich. Zu den häufigsten Ursachen zählen hier die unilaterale kondyläre Hyperplasie und, wie im zweiten Fall beschrieben, das Osteom [Gupta et al., 2020]. Bei der kondylären Hyplerplasie handelt es sich um ein Krankheitsbild mit einem deutlich langsameren Verlauf und einer allmählichen Entwicklung okklusaler Veränderungen über mehrere Jahre hinweg (Abbildung 10). Zudem betrifft das Wachstum die gesamte Unterkieferhälfte, während beim Osteochondrom ein klar abgegrenzter TumoFAZIT FÜR DIE PRAXIS Das Osteochondrom ist eine seltene benigne Tumorentität im Bereich des Kiefergelenks. Charakteristisch für die Progression ist die kontinuierliche Anlagerung von Knochenmasse durch appositionelles Wachstum. Symptomatik: Gesichtsasymmetrie, seitlich offener Biss, Kaufunktionseinschränkungen, selten Schmerzen Diagnostik: DVT/CT oder MRT zur genauen Abklärung von Knochen- und Weichteilstrukturen. Radiologisch zeigt sich häufig ein unilateral vergrößerter, deformierter Condylus. Therapie: Operative Entfernung durch Abtragen des appositionellen Knochens Differenzialdiagnosen: Kondyläre Hyperplasie, Osteom und weitere, seltenere Entitäten Abb. 10: Patientin mit einer idiopathischen Condylushyperplasie des linken Kiefergelenks: A: In der Computertomografie erkennbar ist eine Verlängerung des linken Unterkieferastes mit konsekutiver Verlagerung des Unterkiefers zur Gegenseite und einer ipsilateralen Bissöffnung. B: SPECT mit deutlicher Mehranreicherung im linken Caput mandibulae als Zeichen einer aktiven Wachstumszone Foto: Universitätsmedizin Mainz
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