78 | ZAHNMEDIZIN MKG-CHIRURGIE Trends in der kraniofazialen Distraktionsosteogenese Tobias Ettl Die Distraktionsosteogenese ist ein einzigartiges Verfahren zur echten Genese von Knochen und Weichgewebe – ohne Notwendigkeit einer Gewebsverpflanzung. Auch im Gesichtsschädelbereich hat die schrittweise Knochenverlängerung (Kallusdistraktion) Eingang gefunden. Eine Renaissance erlebt die Technik gerade mit der Implementierung der virtuellen Planung und der Anwendung patientenspezifischer Sägeschablonen, die sowohl die Genauigkeit als auch die Sicherheit erhöhen. Noch immer gelten die 1951 vom russischen Orthopäden Gawriil Abramowitsch Ilizarov aufgestellten klinischen Prinzipien der Distraktionsosteogenese: maximaler Erhalt der extraossären und medullären Blutversorgung, stabile Fixierung, Latenzzeit (3–7d), schrittweise Distraktion (1 mm/d) und Einhaltung der Konsolidierungszeit (je nach Alter zwischen vier und 16 Wochen). Dagegen sind die molekularbiologischen Grundlagen der Kallusdistraktion auch heute nicht abschließend geklärt. Histologische und molekulare Vorgänge Intramembranöse Ossifikation Während bei der Frakturheilung eine endochondrale Ossifikation mit knorpeliger Zwischenstufe und sekundärer Verknöcherung stattfindet, weist die schrittweise Distraktionsosteogenese eine direkte intramembranöse Ossifikation auf [Runyan und Gabrick, 2017]. Dabei entwickelt sich in den ersten Tagen nach der Osteotomie eine fibrovaskuläre Brücke (sogenannte fibröse Interzone), bestehend aus Fibroblasten und chondrozytenartigen Zellen. Nach Beginn der Distraktion (nach vier bis sieben Tagen) bildet sich zu beiden Seiten der fibrösen Interzone eine primär-mineralisierende Ossifikationsfront mit zahlreichen proliferierenden Osteoblasten aus, die eine säulenartige primäre Knochenbildung induzieren. Während der Konsolidierung kommt es dann von peripher nach zentral zu einer zunehmenden Osteoid-Mineralisierung zwischen den Säulen und letztlich zur Durchbauung der fibrösen Interzone [Runyan und Gabrick, 2017]. Embryonale Regulation Molekularbiologisch löst die Distraktion auch bei Erwachsenen Vorgänge aus, wie sie normalerweise in der Embryonalentwicklung stattfinden. Nach aktuellen Erkenntnissen werden skelettale Stammzellen, die an den Knochenenden residieren, nach der Osteotomie durch die mechanische Reizung der Distraktion aktiviert, wodurch Regulationsmechanismen initiiert werden, wie sie physiologischerweise nur in primären Neuralleistenzellen während der Embryogenese zu finden sind. Gesteuert werden diese Regulationen durch den Fokalen Adhäsionskinase (FAK)-Signalweg [Ransom et al., 2018]. Distraktortypen Grundsätzlich haben sich zwei Distraktortypen, intern (Abbildung 1) und extern (Abbildung 2), entwickelt. zm115 Nr. 06, 16.03.2025, (464) Abb. 1: Interne Distraktion: Der Distraktor liegt subperiostal auf dem Unterkiefer, nur die Distraktionsspindel tritt durch die Haut aus. Die Distraktoren können von intra- oder von extraoral eingebracht werden. Foto: Tobias Ettl, KLS Martin Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Tobias Ettl Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum Regensburg Franz-Josef-Strauss-Allee 11, 93042 Regensburg Foto: Privat A B
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