ZAHNMEDIZIN | 79 Beim internen Distraktor liegt die Apparatur subperiostal unter dem Weichgewebe, lediglich der Aktivierungsarm wird über die Haut oder die Schleimhaut nach außen geführt. Der externe Distraktor wird über transkutane Pins oder Halteplatten und Drahtkonstruktionen am Kiefer- beziehungsweise am Gesichtsschädelknochen fixiert. Beide Versionen haben spezifische Vor- und Nachteile. Während der externe Distraktor auch postoperativ eine Korrektur des Verlagerungsvektors zulässt, ist die Distraktionsrichtung beim internen Gerät vorgegeben. Hauptnachteil des externen Distraktors ist das auffällige Erscheinungsbild für mehrere Monate, wobei sich die Patienten und ihr Umfeld erstaunlich schnell daran gewöhnen. Darüber hinaus bilden sich vor allem bei der Unterkieferdistraktion stärker sichtbare kutane Narben aus. Virtuelle Planung Wie in anderen Bereichen der kraniofazialen Chirurgie hat die computergestützte chirurgische Planung die Technik und die Sicherheit der kraniofazialen Distraktionsosteogenese erheblich verbessert. So können während der virtuellen Planung Risikostrukturen wie Zahnkeime oder der N. alveolaris inferior dreidimensional exakt dargestellt und bei der Platzierung der Osteotomie und des Distraktors berücksichtigt werden [Tan et al., 2019]. Die chirurgische Umsetzung mithilfe von individuell hergestellten Bohrund Sägeschablonen ermöglicht die geplanten Bohrungen mit einer Fehlerabweichung von < 1 mm und das Setzen der Osteotomielinie mit einer Abweichung von weniger als 4° von der geplanten Achse [Vanesa et al., 2021]. In Anbetracht der beengten knöchernen Verhältnisse von Kleinkindern stellt diese Genauigkeit einen enormen Vorteil dar (Abbildung 3). Ein weiterer Vorteil der virtuellen Planung liegt in der Simulation der Distraktion. So kann der Distraktionsvektor durch die Orientierung des Distraktors möglichst perfekt festgelegt werden, außerdem kann die Distraktionsstrecke und damit auch die Distraktionszeit abgeschätzt werden. Diese visuelle Darstellung der Gesichtsschädelverlagerung ermöglicht dem Patienten beziehungsweise den Eltern einen besseren Zugang zur geplanten Operation und erhöht dadurch die Compliance. Nach der Herstellung eines 3D-Modells können die Fußplatten des Distraktors bereits präoperativ optimal an die Anatomie des Kiefers oder des Schädelknochens angepasst werden, wodurch sich wiederum die Passgenauigkeit und die Stabilität erhöhen bei gleichzeitiger Verkürzung der OP-Zeit. Die verzm115 Nr. 06, 16.03.2025, (465) Foto: Tobias Ettl AUS DER GESCHICHTE DER DISTRAKTIONSOSTEOGENESE 1906: Codivilla beschreibt nach schräger Osteotomie des Unterschenkels und Distraktion über eine Gipsapparatur mit einer Kraft von 30 kg einen schrittweisen Anbau an Knochen bei gleichzeitiger Adaption der umgebenden Weichgewebe [Codivilla, 2008]. 1927: Rosenthal durchtrennt und verlängert einen Unterkiefer bei mandibulärer Retrognathie im Bereich der Prämolarenregion über eine an den Zähnen befestigte Apparatur [Wassmund, 1935]. 1954: Der russische Orthopäde Gavriil Ilizarov führt über einen doppelten Ringfixateur mit stabiler kortikaler Pinfixierung großstreckige Extremitätendistraktionen mit einer Rate von 1 mm/Tag durch und beschreibt als erster die Prinzipien Latenz, Aktivierung und Konsolidierung unter Erhalt der Stabilität und Blutversorgung [Ilizarov, 1954]. 1973: Snyder et al. verlängern einen Hundeunterkiefer um 14 mm über einen externen Distraktor mit erfolgreicher knöcherner Konsolidierung nach sechs Wochen [Snyder et al., 1973]. 1976: Bell und Epker beschreiben die erste chirurgisch unterstützte Gaumennahterweiterung über eine zahngetragene Apparatur zur transversalen Dehnung des Oberkiefers im Erwachsenenalter [Bell und Epker, 1976]. 1992: Joseph McCarthy publiziert die ersten vier Fälle von Unterkieferdistraktionen an Kindern mit kraniofazialer Mikrosomie beziehungsweise Nagersyndrom [McCarthy et al., 1992]. ab1995: Ausweitung der Distraktionsosteogenese auf den Alveolarfortsatz [Chin und Toth, 1996], das Mittelgesicht [Polley et al., 1995; Polley und Figueroa, 1997] und das Kranium [Hirabayashi et al., 1998; White et al., 2009]. Abb. 2: Externer RED-Distraktor zur Mittelgesichtsdistraktion in der Le-Fort-III-Ebene: Der Halo-Frame ist über transkutane Pins am Schädelknochen fixiert. Die Zugrichtung kann in alle drei Raumdimensionen korrigiert werden. Die Zugdrähte setzen über Osteosyntheseplatten am Jochbein und an der Apertura Piriformis an. A B
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