ZAHNMEDIZIN | 81 Kaban-Klasse IIb ein wachstumsbedingtes Rezidiv nicht vermeiden kann und ein weiterer operativer Eingriff – in der Regel eine Umstellungsosteotomie – im frühen Erwachsenenalter erforderlich ist [Nagy et al., 2009; Pluijmers et al., 2014; Zhang et al., 2018]. Befürworter der Distraktion argumentieren, dass die in jedem Fall notwendige Umstellungsosteotomie vom vermehrten Knochenangebot der vorangegangenen Distraktion signifikant profitiert, wodurch ein besseres ästhetisches Ergebnis gegenüber der alleinigen bignathen Umstellung erreicht werden kann [Shakir und Bartlett, 2021]. Zu beachten ist die Gefahr einer Kondylusresorption des häufig nur rudimentär ausgebildeten Kiefergelenks als Folge der hohen Druckbelastung bei gleichzeitig insuffizienter Abstützung während einer Ramusdistraktion. Dieses Risiko kann und sollte durch die Eingliederung einer kieferorthopädischen Aufbiss-Apparatur und von anterioren Gummizügen zur Druckentlastung der Gelenkregion verringert werden (Abbildung 6). Bei Patienten mit Typ-I- und -IIa-Deformitäten mit weitgehend gegebener Kiefergelenksfunktion ist mit geringeren Rezidivraten nach Distraktion zu rechnen, allerdings ist hier, vor allem beim Typ I, nach entsprechender kieferorthopädischer Vorbehandlung häufig die mono- oder bimaxilläre Umstellungsosteotomie ausreichend. Unterkieferdeformitäten vom Typ III erfordern zumeist komplexe Rekonszm115 Nr. 06, 16.03.2025, (467) Abb. 4: Intraorale endoskopische Darstellung der transbukkalen Schraubenfixierung und der korrekten Distraktionsbewegung Foto: Tobias Ettl Abb. 5: A: Neunjähriger Junge mit hemifazialer Mikrosomie (Typ IIa/b) rechts: Der rechte Ramus mandibulae ist deutlich verkürzt mit hypoplastischem Kiefergelenk. B: Vertikale und horizontale Symmetrisierung des Untergesichts nach interner Distraktion von 18mm Foto: Tobias Ettl Abb. 6: Aufbiss-Apparatur mit anterioren Gummizügen zur Gelenkentlastung: Nach Lockerung der Oberkiefer-Fixationsanker wurde die Apparatur für wenige Wochen an den Brackets eingehängt. Die Mundöffnung ist weiterhin möglich, um eine Ankylose im Gelenkbereich zu verhindern. A B A B truktionen des Ramus- und Gelenkbereichs mit costochondralem Rippentransplantat im Kindesalter und freier Fibula oder Kiefergelenkstotalendoprothese im Adoleszenz- und Erwachsenenalter [Cleveland et al., 2017; Resnick, 2018; Arif et al., 2024]. Häufig müssen diese Patienten zahlreiche Operationen über sich ergehen lassen, so dass in jeder Behandlungsphase die psychosoziale Belastung des Kindes und der Eltern in die Entscheidung mit einfließen muss. Eine kürzlich verfasste Europäische Leitlinie beschäftigt sich ausführlich mit der Therapie der kraniofazialen Mikrosomie [Renkema, 2020]. Erweiterung des Atemweges Das Treacher-Collins-Syndrom (Syn.: Franceschetti-Syndrom), das NagerSyndrom sowie das Pierre-Robin-Syndrom stellen ebenfalls frühkindliche Fehlbildungen dar, die aufgrund des fehlenden Unterkieferwachstums zu einer massiven Einschränkung des Atemweges (Schlafapnoe) bis hin zur Notwendigkeit einer Tracheotomie führen können. Hier kann die frühe Distraktion zur Erweiterung des Atemweges in Erwägung gezogen werden [Morrison et al., 2021; Peck et al., 2021]. Umstritten ist der Einsatz beim Pierre-Robin-Syndrom, da hier in den meisten Fällen der Luftweg über spezielle kieferorthopädische Apparaturen (zum Beispiel die sogenannte Tübinger Atemplatte) bis zur Nachentwicklung des Unterkiefers gesichert werden kann [Poets et al., 2019; Weismann C, 2024]. Dennoch
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