Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 8

36 | TITEL Die Anwendung von Bakteriophagen oder Bakteriophagen-basierten Wirkstoffen wie Endolysinen ist möglicherweise eine alternative Möglichkeit zur spezifischen Behandlung persistenter oraler Infektionserkrankungen. Durch eine zielgerichtete Eliminierung pathogener Keime im dysbiotischen Biofilm könnte eine Nische für verdrängte niedrig-pathogene Spezies entstehen und die Voraussetzung für die Etablierung eines apathogenen Biofilms geschaffen werden. In der Zahnmedizin ist der klinische Einsatz von Phagen im Vergleich zu anderen Bereichen bislang wenig erforscht [Zhu et al., 2025]. Dennoch gibt es bereits viele Ansätze, sich die lytische Wirkung von Phagen zur Therapie von Infektionen in der Mundhöhle zunutze zu machen. Mit einer geschätzten Anzahl von 1031 Virionen zählen Bakteriophagen zu den am häufigsten vorkommenden Spezies dieses Planeten und sind dadurch maßgeblich an der Regulierung unterschiedlichster mikrobieller Ökosysteme beteiligt [Mushegian, 2020]. Es gibt zahlreiche Studien zu Bakteriophagen in unterschiedlichen Ökosystemen, jedoch fokussieren sich mehr und mehr Arbeiten auf die menschliche Mikrobiota, wie den Darm [Dion et al., 2020]. Der Bestand von Bakteriophagen in einem Bereich wird auch als Phageom bezeichnet. Auch die Mundhöhle besitzt ein Phageom [Szafrański et al., 2021], dies ist jedoch noch relativ unerforscht und birgt großes Potenzial. Dieses Phageom unterscheidet sich zwischen den Individuen ähnlich wie das Mikrobiom und kann ebenso innerhalb einer Familie, zwischen Paaren oder bei Menschen, die im selben Haushalt leben, übertragen werden [Szafrański et al., 2021; RoblesSikisaka et al., 2013]. Woran wird geforscht? Orale Biofilm-assoziierte Erkrankungen wie Karies und Parodontitis gehören laut WHO neben Krebserkrankungen der Mundhöhle zu den häufigsten Munderkrankungen mit erheblichen gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen. Eine systematische Analyse ergab, dass weltweit 3,5 Milliarden Menschen an oralen Erkrankungen leiden, davon 2,3 Milliarden mit unbehandelter Karies und 796 Millionen mit schwerer Parodontitis [WHO, 2022]. Die Anwendung von Bakteriophagen in der Endodontologie, der Kariologie und der Parodontologie könnte einen vielversprechenden und nachhaltigen Ansatz in der Zahnmedizin darstellen und als Alternative beziehungsweise Ergänzung zu herkömmlichen Strategien angewendet werden – mit dem Potenzial, bakterielle Infektionen selektiv zu kontrollieren und langfristig zur Mundgesundheit beizutragen. Während Antibiotika und antimikrobielle Mundspüllösungen oft auch nützliche Mikroorganismen der Mundflora beeinträchtigen und Resistenzen fördern können, bieten Phagen aufgrund ihrer hohen Spezifität das Potenzial für eine gezielte Bekämpfung von pathogenen Bakterien, die beispielsweise mit Wurzelkanalinfektionen, Karies oder Parodontitis assoziiert sind. Aktuelle Forschungsansätze konzentrieren sich darauf, spezifische Phagen gegen endodontische, kariogene und parodontalpathogene Keime wie Enterococcus faecalis, Streptococcus mutans oder Aggregatibacter actinomycetemcomitans zu identifizieren und deren Wirksamkeit in präklinischen und klinischen Studien zu evaluieren. Gleichzeitig stehen Fragestellungen zu den Eigenschaften und zur Stabilität der Bakteriophagen, mögliche Applikationsformen sowie Wechselwirkungen mit dem oralen Mikrobiom im Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen. Endodontologie In der Endodontie wird daran geforscht, die antimikrobiellen Eigenschaften von Bakteriophagen zu nutzen. Hauptaugenmerk liegt in den meisten Studien vor allem auf einer Eliminierung von E.-faecalis-Biofilmen in unterschiedlichen Modellversuchen, obwohl mittels moderner Nachweismethoden wie „next generation sequencing“ (NGS) mittlerweile eine Vielzahl von Erregern bei endodontischen Infektionen nachgewiesen wurde [Manoil et al., 2020]. E. faecalis wird vor allem mit sekundären und persistierenden Infektionen mit einer Prävalenz von bis zu 77 Prozent assoziiert [Stuart et al., 2006; Rôças et al., 2004]. Dessen Rolle bei der Entstehung zm115 Nr. 08, 16.04.2025, (638) Dr. Carina Rohmer Fraunhofer-Institut für Grenzflächenund Bioverfahrenstechnik (IGB) Abteilung Virus-basierte Technologien Nobelstr. 12, 70569 Stuttgart Foto: Fraunhofer IGB Dr. Marie Luise Bauer Abteilung für Zahnerhaltung, Präventivund Kinderzahnmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin Aßmannshauser Str. 4-6, 14197 Berlin marie.bauer@charite.de Foto: Charité – Universitätsmedizin Dr. Ralf Eggeling Methods in Medical Informatics Department of Computer Science Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät, Universität Tübingen Geschwister-Scholl-Platz, 72074 Tübingen Foto: Universität Tübingen Prof. Dr. Kerstin Bitter Universitätspoliklinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie Universitätsmedizin Halle Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg Magdeburger Str. 16, 06112 Halle Foto: Universitätsmedizin Halle

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