Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 8

TITEL | 41 bei periimplantären Infektionen spielen, so dass der Charakterisierung des periimplantären Phageoms eine besondere Bedeutung zukommt [Szafrański et al., 2021]. In der Medizinischen Hochschule Hannover wurden darum in einer Kohorte von Implantatpatienten mit periimplantären Infektionen und einer Vergleichsgruppe mit gesunden Implantaten Transkriptomanalysen von Phagengenen, durchgeführt (Transkriptom: Gesamtheit aller RNAMoleküle in einer Probe). Es konnte eine bemerkenswerte Vielfalt aktiver oraler Phagen und phagenähnlicher Elemente innerhalb des periimplantären Ökosystems aufgedeckt werden. Darüber hinaus konnten diese durchweg als wichtige Bestandteile des Biofilms in verschiedenen diagnostischen Gruppen und mikrobiellen Gemeinschaften identifiziert werden. Es zeigte sich eine signifikant unterschiedliche Phagenpopulation in Abhängigkeit von der Diagnose Periimplantitis, Mukositis oder gesunde Implantate und es zeigte sich jeweils eine hohe Aktivität von Phagen, die auf typische orale Mikroorganismen abzielen. So zeigten Phagen, die auf Fusobacterium und Prevotella abzielten, bei Periimplantitis eine höhere Aktivität als bei Mukositis oder bei gesunden Implantaten, bei denen Phagen, die auf Streptococcus und Haemophilus abzielten, aktiver waren. Während die meisten Phagen mit ihren vorhergesagten bakteriellen Wirten übereinstimmen, zeigen sich auch weitere Assoziationen, zum Beispiel zwischen Tannerella forsythia und Fusobacterium-Phagen, die darauf hindeuten, dass die durch Phagen induzierte Lyse bestimmter Bakterien die Ausbreitung anderer anspruchsvoller Arten wie beispielsweise Tannerella forsythia begünstigen kann. Diese Ergebnisse müssen bei der Entwicklung zukünftiger therapeutischer Strategien Berücksichtigung finden, da eine nischenspezifische Koevolution die Entwicklung von wechselseitigen Beziehungen zwischen Mitgliedern bestimmter Bakterien und Phagentypen begünstigen kann. Um dies weiter aufzuklären, konnten in der Vergangenheit Klassifizierungsschemata für Aggregatibacter- und HaemophilusProphagen erstellt und die Muster ihrer Diversität beschrieben werden [Szafrański et al., 2019]. Weitere Arbeiten sind erforderlich, um die potenziellen mechanistischen Grundlagen der Prophagenmuster im Hinblick auf eine mögliche therapeutische Nutzung lytischer Phagen zu erforschen. Die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die Phagentherapie eine vielversprechende, selektive und biologisch verträgliche Alternative zur Antibiotikatherapie bei Periimplantitis darstellen könnte. Zukünftige klinische Studien sind hier erforderlich, um deren Wirksamkeit und Sicherheit bei der Behandlung periimplantärer Infektionen zu bestätigen. Ausblick Trotz bemerkenswerter Fortschritte besteht weiterhin erheblicher Forschungsbedarf. Entscheidend bei der Erforschung von Bakteriophagen in der Zahnmedizin ist nicht nur die grundlegende Entwicklung alternativer Therapieansätze, sondern auch deren Praktikabilität und Sicherheit in der klinischen Anwendung. Orale Erkrankungen wie Karies und Parodontitis stehen im Zusammenhang mit komplexen dysbiotischen Biofilmen. Ein mögliches Risiko bei der Anwendung von Bakteriophagen könnte die Freisetzung bakterieller Toxine, wie Endotoxine oder Lipopolysaccharide (LPS), bei einer Phagen-assoziierten Lyse sein. Eine weitere zentrale Frage ist, wie der Einsatz von Bakteriophagen in der zahnärztlichen Praxis konkret gestaltet werden könnte. Denkbar wäre die Verabreichung in Form eines Kaugummis, einer Mundspülung, in Gelen oder in Form anderer topischer Präparate. Dabei stellt sich jedoch die Frage, wie solche Ansätze im Vergleich zu etablierten Methoden wie Antiseptika, Antibiotika oder der mechanischen Biofilmkontrolle langfristig eingeordnet werden können. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei, ob und wie tief Phagen in Biofilme eindringen können, um pathogene Mikroorganismen effektiv zu eliminieren. Weiterhin scheint die Stammspezifität der Phagen einer schnellen Anwendung in der Praxis im Weg zu stehen. Bakterienstämme müssten isoliert und kultiviert werden. Sollte keine PhagenBank bestehen, ist es notwendig, Umweltproben auf entsprechende Phagen hin zu screenen, die dann im Labor produziert werden müssen, bevor es zu einer oralen Anwendung kommen kann. Es handelt sich also um eine aufwendige Individualtherapie, die vorerst nicht für den alltäglichen Gebrauch in der Zahnarztpraxis passend erscheint. Gelingt es, Phagen-Cocktails zu konzipieren oder Phagen genetisch so zu verändern, dass ein breites Wirkspektrum bedient wird, könnte dies den klinischen Einsatz erleichtern. Außerdem muss vor der praktischen Anwendung geklärt werden, welche Rolle die Resistenzbildung gegen Phagen in der Behandlung spielt. Beispielsweise steht in der Endodontie noch der Nachweis aus, ob diese Resistenzbildung eine apikale Ausheilung beeinflusst, auch wenn der Biofilm ausreichend reduziert wurde und durch eine hermetische Versiegelung des Kanals das Eindringen von neuem Substrat verhindert werden konnte. Gleichzeitig ist es wichtig, die Integration von Bakteriophagen-Therapien in bereits bestehende und bewährte Behandlungskonzepte zu berücksichtigen. Ob sie als ergänzende Maßnahme zum Beispiel synergistisch zu Antibiotika oder als eigenständige Alternative eingesetzt werden, bleibt eine Frage zukünftiger Studien, aber auch gesetzlicher Vorgaben. Eine breite klinische Anwendung hängt maßgeblich von Änderungen der Zulassungsanforderungen ab, die insbesondere in Deutschland den Einsatz von Bakteriophagen derzeit verhindern. Lediglich im Rahmen individueller Heilversuche bei bereits austherapierten lebensbedrohlich erkrankten Patienten dürfen spezifische Phagencocktails im Rahmen von klinischen Studien eingesetzt werden [Rieper et al., 2022]. Um die rechtlichen Hürden zu umschiffen, könnte die Erforschung zielgerichteter Phagen-basierter Wirkstoffe, sogenannter Lysine, zukünftig eine große Rolle spielen. Trotz dieser Herausforderungen und gesetzlichen Hürden eröffnen Bakteriophagen ein vielversprechendes Potenzial, die zahnmedizinische Versorgung zu bereichern und möglicherweise effektiver und gezielter gegen einzelne Pathogene in der Mundhöhle vorzugehen. „ zm115 Nr. 08, 16.04.2025, (643)

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