54 | POLITIK INTERVIEW MIT PROF. DR. THIESS BÜTTNER ZUM SCHULDENPAKET „Die Bereitschaft für Reformen könnte nachlassen“ Als Vorsitzender des Beirats des Stabilitätsrats gehört es zu den Aufgaben von Thiess Büttner, auf solide Haushalte auf Bundes- und Länderebene hinzuwirken. Wie der Volkswirt zum kürzlich verabschiedeten Schuldenpaket steht und ob das deutsche Gesundheitssystem aus seiner Sicht davon profitieren wird, verrät er im Interview. Herr Prof. Büttner, Aufgabe des unabhängigen Beirats des Stabilitätsrats ist es, das Staatsdefizit zu überwachen. Wie stehen Sie vor diesem Hintergrund zum kürzlich beschlossenen Sondervermögen Infrastruktur? Prof. Dr. Thiess Büttner: Das sehe ich eher kritisch. Ich bin nicht überzeugt, dass die Erosion der Infrastruktur in Deutschland auf einen grundsätzlichen Geldmangel zurückgeht. Woran liegt es stattdessen? Ich denke, dass primär das Management der Infrastruktur ungenügend ist. Wenn Bund oder Länder etwas bauen, gibt es keine ausreichende betriebswirtschaftliche Finanzplanung, in deren Rahmen beispielsweise über Abschreibungen Geld für die Instandhaltung zurückgelegt wird. Stattdessen wird die Infrastruktur auf Kante gefahren, bis sie nicht mehr funktioniert. Wenn man aber Geld in die Infrastruktur pumpt, ohne eine Ursachendiskussion über deren schleichenden Verfall zu führen, und außerdem keinen langfristigen Plan für ihren Erhalt hat, stehen wir bald wieder vor maroden Straßen, Brücken und Schulen. Auch Gesundheitseinrichtungen gehören zur öffentlichen Infrastruktur. Wie könnten Mittel aus dem Sondervermögen hier sinnvoll eingesetzt werden? Das Kernproblem bei der Nutzung des Sondervermögens ist, dass mit diesen Mitteln Wachstum und eine dauerhaft höhere Wirtschaftsleistung erzeugt werden müssen, damit es gelingt, die europäischen Haushaltsvorgaben einzuhalten und die Verschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung wieder zurückzuführen. Das erfordert zusätzliche Investitionen in Bereichen, die große Wachstumsimpulse freisetzen. Den Gesundheitsbereich sehe ich da nicht an erster Stelle. Wie bewerten Sie denn den Zustand des deutschen Gesundheitssystems? Deutschland hat innerhalb der EU bekanntlich die höchsten Gesundheitsausgaben, liegt aber, was die konkreten Leistungen angeht, eher im Mittelfeld. Das ist ein Hinweis auf bestehende Ineffizienzen. Der Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege hat vergangenes Jahr darauf hingewiesen, dass der Ressourceneinsatz in der Gesundheitsversorgung nicht stimmig ist. Er weist darauf hin, dass sehr viel Arbeitseinsatz erfolgt, aber nicht unbedingt an den richtigen Stellen. In der stationären Versorgung existiert beispielsweise ein Nebeneinander von Überversorgung und Fehlversorgung. Über mengenorientierte Fallpauschalen werden Überkapazitäten finanziert. Möglicherweise werden also Gesundheitsleistungen erbracht, die nicht unbedingt der Gesundheit nützen, aber dem jeweiligen Leistungserbringer Geld bringen. Deutschland hat zwar im Vergleich immer noch ein gutes Gesundheitssystem, es verschwinden jedoch zu viele Mittel aufgrund solcher Fehlanreize – und das manifestiert sich unter anderem in hohen Beitragssätzen und gravierenden Problemen in der Finanzierung. Wenn Sie mit „ja“ oder „nein“ antworten müssten: Wird das deutsche Gesundheitssystem vom Sondervermögen Infrastruktur profitieren? Ich fürchte, nein. Warum nicht? Bleiben wir im Krankenhausbereich, auf den sich die Hauptreformanstrengungen in der Gesundheitspolitik zurzeit konzentrieren. Mit dem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz hat man bereits beschlossen, die Modernisierung der Krankenhausstrukturen anzugehen und hat dafür einen Transformationsfonds mit einem Volumen von bis zu 50 Milliarden Euro vorgesehen. Wenn nun Geld hierfür aus dem Sondervermögen Infrastruktur kommt und nicht aus den vorgesehenen Quellen, wird lediglich eine Finanzierungslast verschoben, aber kein neuer Impuls geschaffen. Und dafür ist das Sondervermögen eigentlich gedacht: Es soll für zusätzliche Investitionen, die in den jährlichen Haushaltsplanungen nicht sowieso vorgesehen sind, eingesetzt werden und dabei Wachstumskräfte freisetzen. Unter welchen Umständen hätten sie „ja“ gesagt? Natürlich hoffe ich als Volkswirt, dass das Schuldenpaket dazu führt, dass ein Modernisierungsschub Deutschland erfasst. Davon würde sicherlich auch das Gesundheitssystem profitieren – etwa bei der Digitalisierung. Aus meiner Sicht erfordert das aber nicht nur Geld, sondern Strukturreformen. Prof. Dr. Thiess Büttner hält den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre an der FriedrichAlexander-Universität Erlangen/Nürnberg. Seit 2018 ist er Vorsitzender des unabhängigen Beirats des Stabilitätsrats. Dessen Aufgabe ist es, das Staatsdefizit zu überwachen. Foto: Giulia Iannicelli zm115 Nr. 08, 16.04.2025, (656)
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