ZAHNMEDIZIN | 67 aurikuläre Region äußert. Daneben gibt es das „Stylohyoide-Syndrom“ bei dem eine mechanische Irritation oder Kompression des sympathischen Plexus in der Wand der Arteria carotis externa zu ausstrahlenden Kopf- und Gesichtsschmerzen führt [Diamond et al., 2001; Eagle, 1958]. Die Symptome sind oft bewegungsabhängig und verstärken sich beim Schlucken, Gähnen oder bei bestimmten Kopfpositionen [Jacome, 2004]. Die Abgrenzung der beiden Formen ist aufgrund der überlappenden Symptomatik und der fehlenden therapeutischen Relevanz veraltet, zumal auch bei der klassischen Variante nicht immer eine Tonsillektomie vorausgegangen ist [Slavin, 2002]. Bei der Pathogenese des Eagle-Syndroms spielen neben kongenitalen Verlängerungen auch degenerative Ossifikationsprozesse eine Rolle, die typischerweise erst nach dem 30. Lebensjahr zur Manifestation führen [Krennmair et al., 2001]. Einige Studien zeigen eine höhere Prävalenz des EagleSyndroms bei Frauen, insbesondere in der mittleren Altersgruppe von 30 bis 50 Jahren [Bokhari et al., 2023]. Seit der Erstbeschreibung des EagleSyndroms wurden zahlreiche Studien zur Prävalenz durchgeführt, deren Ergebnisse aufgrund unterschiedlicher Definitionen eines pathologischen Processus styloideus stark variieren. Während einige Untersuchungen bereits eine Länge von über 2,5 cm als abnorm ansehen, setzen andere die Grenze erst bei 4,0 cm, da erst ab dieser Länge vermehrt Beschwerden auftreten. Bei vier bis zehn Prozent der Patienten mit einem verlängerten Styloideus tritt tatsächlich das EagleSyndrom auf [Prasad et al., 2002; Gossman Jr und Tarsitano, 1977; Pagano et al., 2023]. Die variierenden Diagnosekriterien führen jedoch zu erheblichen Unterschieden in der Prävalenzangabe [Thielen et al., 2025; Radfar et al., 2008]. Häufig sind die Veränderungen beidseitig, jedoch treten die Schmerzen meist einseitig auf, was vermutlich auf anatomische Variationen der Lagebeziehung des Processus styloideus zu neurovaskulären Strukturen zurückzuführen ist [Péus et al., 2019]. Betroffene berichten meist über einen dumpf-drückenden, ziehenden Dauerschmerz, während neuralgiforme Beschwerden seltener auftreten. Häufig gehen erfolglose medikamentöse Behandlungen der richtigen Diagnose voraus. Aufgrund des begleitenden Globusgefühls werden die Beschwerden nicht selten als psychosomatisch fehlinterpretiert. Die Diagnostik des Eagle-Syndroms basiert auf einer Kombination aus Anamnese, klinischer Untersuchung und bildgebenden Verfahren. Als Erstuntersuchung ist ein OPG geeignet, liefert jedoch keine detaillierten Informationen über die räumliche Lage des verlängerten Processus styloideus. Daher gilt die dreidimensionale Bildgebung (CT oder DVT) als Goldstandard, um die exakte Länge und die Beziehung zu den angrenzenden Strukturen zu bestimmen [Mortellaro et al., 2002]. Differenzialdiagnostisch müssen Kiefergelenkpathologien, eine Trigeminusneuralgie und psychosomatische Ursachen ausgeschlossen werden, was jedoch durch eine bildgebende Diagnostik zuverlässig möglich ist [Kozakovičová et al., 2023]. Therapeutisch stehen sowohl konservative als auch chirurgische Optionen zur Verfügung. Bei milden Beschwerden können nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), Antikonvulsiva oder trizyklische Antidepressiva zur Schmerzreduktion beitragen, zeigen jedoch bei ausgeprägter Symptomatik oft nur begrenzten Erfolg. Bei therapieresistenten oder stark beeinträchtigenden Beschwerden ist die chirurgische Resektion des elongierten Processus styloideus die Therapie der Wahl [Saccomanno et al., 2021; Wang et al., 2022]. Hierfür stehen zwei operative Zugangswege zur Verfügung: der transorale Zugang, der keinen äußeren Hautschnitt erfordert, aber eine eingeschränkte Sicht auf das Operationsfeld bietet, sowie der extraorale Zugang, der eine bessere Übersicht ermöglicht, jedoch eine sichtbare Narbe hinterlässt [Mahmoud und Ashour, 2020]. Im hier beschriebenen Fall führte die chirurgische Intervention zu einer vollständigen Beschwerdefreiheit. Dies unterstreicht die Bedeutung einer frühzeitigen Diagnosestellung und einer individuell angepassten Therapie bei Patienten mit typischer Symptomatik. Zusammenfassend sollte das EagleSyndrom bei Patienten mit unklaren, persistierenden Gesichts- und Halsschmerzen, Dysphagie und Schwindel als mögliche Differenzialdiagnose in Betracht gezogen werden. Eine frühzeitige bildgebende Diagnostik kann helfen, eine gezielte Behandlung einzuleiten. Während konservative Therapieansätze in leichten Fällen eine Option darstellen, zeigt sich bei persistierenden Beschwerden die chirurgische Resektion des elongierten Processus styloideus als effektive und nachhaltige Lösung. zm115 Nr. 08, 16.04.2025, (669) FAZIT FÜR DIE PRAXIS Das Eagle-Syndrom sollte bei chronischen Gesichts-, Halsund Schluckbeschwerden in die Differenzialdiagnose einbezogen werden, insbesondere wenn die Symptome durch Kopfbewegungen oder Palpation auslösbar sind. Die CT oder die DVT mit 3DRekonstruktion sind der diagnostische Goldstandard, da sie eine präzise Beurteilung der Länge und der Lage des Processus styloideus ermöglichen. Konservative Therapieoptionen sind oft unzureichend – bei persistierenden Beschwerden ist die chirurgische Resektion die Therapie der Wahl. Die Prognose nach chirurgischer Entfernung ist gut, da die meisten Patientinnen und Patienten postoperativ eine deutliche oder vollständige Beschwerdebesserung erfahren. Fabia Siegberg Klinik und Poliklinik fü r Mund-, Kieferund Gesichtschirurgie – Plastische Operationen, Universitätsmedizin Mainz Augustusplatz 2, 55131 Mainz Foto: Siegberg/MKG Universitätsmedizin Mainz
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