zm115 Nr. 08, 16.04.2025, (680) 78 | POLITIK tigen medizinischen Versorgung haben – unabhängig davon, ob sie digitale Angebote nutzen oder nicht. Digitale Angebote, wie die Videosprechstunde können sinnvolle Ergänzungen sein, die sogar Barrieren abbauen und Zugänge erleichtern. Gleichzeitig muss die Digitalisierung so gestaltet werden, dass sie für möglichst viele Menschen einen Mehrwert schafft, anstatt neue Hürden aufzubauen und medizinisch notwendige Leistungen müssen für alle erreichbar sein. Allein ein Mehr an Wirtschaftlichkeit oder Effizienz eines digitalen Angebots darf nicht dazu führen, dass medizinisch notwendige Leistungen nicht mehr allen zur Verfügung stehen... Was müsste schon heute geändert werden, um einem solchen Rechtsanspruch gerecht zu werden? Bereits jetzt müssten analoge Zugangswege zur medizinischen Versorgung garantiert werden. Dazu gehören etwa die mögliche Terminvereinbarung per Telefon oder vor Ort. Es kann nicht sein, dass Arztpraxen ihre Terminvergabe ausschließlich digital organisieren und damit eine Zugangsbarriere schaffen. Wie sieht es perspektivisch aus, etwa mit Blick auf den bevorstehenden Rollout der ePA oder auf Pläne zu einer qualifizierten, telemedizinischen Ersteinschätzung? Die elektronische Patientenakte (ePA) und Telemedizin haben ein hohes Potenzial als gewinnbringende Elemente einer modernen und effizienten Gesundheitsversorgung. Gerade angesichts des Fachkräftemangels und knapper, zum Beispiel zeitlicher, Ressourcen können sie dafür sorgen, dass sich die Versorgung zugunsten der Patientinnen und Patienten verbessert. In der Teleradiologie, zum Beispiel in der Schlaganfallversorgung, zeigt sich das bereits. Eine digitale Ersteinschätzung kann die Patientensteuerung drastisch verbessern und dafür sorgen, dass Patientinnen und Patienten im ersten Anlauf in den für ihre Situation richtigen Versorgungspfad gelangen; was Leben retten kann. Unter diesem Gesichtspunkt halte ich, bei allem Nachbesserungsbedarf, der gesehen wird, auch den in der ePA hinterlegten Notfalldatensatz und die Option auf den elektronischen Medikationsplan für wertvoll. Letztlich besteht hier die Chance, die Patientensicherheit und das Behandlungsergebnis bei akuten Gesundheitsgefahren zu verbessern.. Damit diese Innovationen ihr volles Potenzial entfalten können, müssen sie einfach nutzbar, sicher und barrierefrei sein. Zudem muss sichergestellt werden, dass Patientinnen und Patienten weiterhin analoge Alternativen nutzen können, wenn sie dies wünschen. Wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht, Patientinnen und Patienten weiterhin die Möglichkeit zu geben, ohne Inanspruchnahme eines digitalen Dienstleisters Arzttermine vereinbaren zu können? Es ist essenziell, dass Patientinnen und Patienten Arzttermine auch ohne digitale Tools vereinbaren können. Telefonische oder persönliche Terminvergaben müssen als alternative Optionen bestehen bleiben, um allen Menschen einen gleichberechtigten Zugang zur medizinischen Versorgung zu ermöglichen. Beim Recht auf ein Leben ohne Digitalzwang geht es letztlich ja auch um Barrierefreiheit. Wie ist Ihre Bestandsaufnahme: Nehmen die digitalen Barrieren in der Versorgung eher zu oder eher ab? In der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichten sich die Vertragsstaaten, Menschen mit Behinderungen eine ortsnahe gesundheitliche Versorgung in derselben Bandbreite und von derselben Qualität zu garantieren wie Menschen ohne Behinderungen. Digitale Barrieren sind jedoch eine wachsende Herausforderung. Während einige digitale Anwendungen den Zugang zur Versorgung erleichtern können, gibt es immer noch erhebliche Hürden, insbesondere für Menschen mit Seh- oder Hörbehinderungen, ältere Menschen oder Personen mit geringen digitalen Kompetenzen. Hier besteht Handlungsbedarf, um die digitale Gesundheitsversorgung inklusiver zu gestalten. Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen hat TeilhabeEmpfehlungen für eine inklusivere Gesellschaft vorgelegt, die sich in einem Kapitel ausführlich mit diesem Thema befassen. Was bedeutet es, wenn sich Menschen aus Sorge vor mangelhaftem Datenschutz gegen die Nutzung von digitalen Innovationen – auch im Gesundheitswesen – entscheiden? Datenschutz ist ein zentraler Aspekt des Vertrauens in digitale Gesundheitsanwendungen. Wenn Menschen aus Sorge vor Datenschutzproblemen digitale Angebote meiden, verfehlen diese ihren Zweck. Deshalb sind transparente Datenschutzregelungen, verständliche Informationen und die Einhaltung höchster Sicherheitsstandards essenziell. Wie realisieren Länder mit einem deutlich stärker digitalisierten Gesundheitswesen, zum Beispiel Lettland, dass Patientinnen und Patienten nicht abgehängt oder zur Nutzung digitaler Dienstleistungen gezwungen werden? In vielen digital fortgeschrittenen Ländern gibt es hybride Systeme, die sowohl digitale als auch analoge Wege zur Gesundheitsversorgung bieten. Lettland beispielsweise kombiniert elektronische Patientenakten mit persönlichen Beratungsmöglichkeiten und stellt sicher, dass Bürgerinnen und Bürger bei Bedarf Unterstützung bei der Nutzung digitaler Dienste erhalten. Solche Lösungen könnten auch für Deutschland als Vorbild dienen. Von zentraler Bedeutung wäre dann natürlich, dass die Patientinnen und Patienten auch von diesen Beratungsmöglichkeiten wissen. Das Gespräch führte Marius Gießmann. Stefan Schwartze ist Januar 2022 Patientenbeauftragter der Bundesregierung Foto: Jan Pauls
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