Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 9

TITEL | 41 ralisation erlaubt. Die non-invasive Kariesinaktivierung kariöser Läsionen (NRCC: non-restorative caries control) beschreibt damit inzwischen eine wissenschaftlich und klinisch etablierte Therapieform, die sehr viele Narkosen und damit Kosten, personelle Ressourcen sowie Risiken vermeiden kann. Nachfolgend können immer noch (ästhetische) Restaurationen erfolgen, die dann häufig ohne die Entfernung von kariösem Dentin, also „Bohren“, Präparation und der damit verbundenen Lokalanästhesie auskommen. Diese Versorgungen können zum Beispiel in Form der Hall-Technik auch initial eingesetzt werden, die ebenfalls ohne „Spritze“ und „Bohrer“ auskommt. Zentrales Problem bei der Milchgebisskaries ist aber nicht dieser Mineralverlust oder der Defekt, sondern die „übergroße“ Pulpa, die häufig mit betroffen ist (Abbildung 2), bei oftmals zugleich geringer Kooperationswilligkeit oder -fähigkeit der Kinder für invasive Eingriffe. Damit ist bei kariösen Defekten an Milchzähnen die korrekte Diagnose zum Zustand der Pulpa beziehungsweise die Abschätzung der Pulpabeteiligung der kariösen Läsion die primäre und wichtigste Aufgabe. Dies ist allerdings bei Kleinkindern über die Schmerzanamnese und die Röntgenbilder häufig nicht valide möglich. Es gibt zwei Möglichkeiten, dieses Dilemma zu lösen:  Die klassische invasive Lösung mit („diagnostischer“) Pulpotomie, visueller Beurteilung des Pulpazustands und nachfolgender Versorgung mit einer Stahlkrone: Die Invasivität dieser Maßnahmen bedingt allerdings bei vielen kleinen Kindern eine komplexe Zahnbehandlung in Narkose.  Die Kariesinaktivierung und Verlaufskontrolle über die Zeit: Wenn die Läsion sich erkennbar remineralisiert und der Zahn schmerzfrei sowie ohne Fistel/Abszess bleibt, liegt offensichtlich nur eine reversible Pulpitis vor. Alle irreversiblen Pulpitiden oder gar Pulpanekrosen bedingen eine endodontische oder eine Extraktionstherapie des Milchzahns. Bei beiden Ansätzen sind der kariöse Defekt, seine Ausdehnung oder die Kariesentfernung das eindeutig sekundäre Problem, die Kooperation des Kindes bei diesen Maßnahmen ist dafür umso entscheidender. Im Folgenden sollen diese einzelnen Therapiepfade detaillierter dargestellt werden. Kariesentfernung up to date Gerade in der Kariesentfernung hat sich in den vergangenen Jahren eine bemerkenswerte Verschiebung ergeben: Die Hall-Technik hat erfolgreich gezeigt, dass bei einem dichten Verschluss eigentlich überhaupt keine Entfernung von kariös verändertem Schmelz oder Dentin notwendig ist. Auch bei der Kariesinaktivierung ist in der Regel keine Kariesentfernung nötig, gegebenenfalls ein Aufschleifen der Läsion zur besseren Reinigungsfähigkeit(Abbildung3).Undselbstbeirestaurativen Techniken wurde die Idee vom „sauberen, keimarmen Restdentin“ und zusätzlicher „Kavitätentoilette“ zur weiteren Keimreduktion verlassen und durch die selektive Karieszm115 Nr. 09, 01.05.2025, (739) Abb. 2: Hauptproblem in der Kinderzahnheilkunde ist die verhältnismäßig große Pulpa bei geringerer Schmelz-Dentin-Dicke. Während bei einer reversiblen Pulpitis nur eine Kariestherapie erfolgen muss (a), erfordern eine irreversible Pulpitis, eine interradikuläre oder apikale Ostitis (b) oder eine Nekrose eine invasivere Therapie. Foto: Christian Splieth  Studium der Zahnmedizin an der Universitäten Göttingen, Leeds/GB & Minnesota/USA  Assistenzarztzeit in mehreren Zahnarztpraxen  1993: Wissenschaftlicher Mitarbeiter, ZZMK Universität Greifswald  2000: Habilitation & Spezialist der DGKiZ  seit 2000: Mitglied in Vorstand LAJ MV und Leitung Zahnärztlicher Dienst des ÖGD Greifswald  2003/04: Ruf/Professur Kinderzahnheilkunde und Prävention, Universität Kiel  2004: Leitung der Abt. für Präventive Zahnmedizin & Kinderzahnheilkunde, Universität Greifswald  seit 2012: Leiter Masterstudiengang Kinderzahnheilkunde  2013–2015: Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde  2017–2021: Vice-President, President & Past-President der Weltkariesorganisation (ORCA)  2022–2024: Komm. Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltung, Parodontologie, Endodontologie & Kinderzahnheilkunde  seit 2024: Leiter der Poliklinik für Kinderzahnheilkunde Schwerpunkte: Epidemiologie und Public Health, Kinderzahnheilkunde, Kariologie inklusive Prävention, Postgraduale Fortund Weiterbildung Prof. Dr. Christian H. Splieth Leiter der Poliklinik für Kinderzahnheilkunde, ZZMK Universitätsmedizin Greifswald Walther-Rathenau-Str. 42, 17475 Greifswald Foto: privat a b

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