Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 9

42 | TITEL exkavation mit primär kariesfreien Kavitätenrändern zur adäquaten Verankerung einer Restauration ersetzt. Mit großem internationalem Konsensus wurde festgestellt, dass zentral in der Kavität durchaus lederhartes, kariös verändertes Dentin belassen werden kann, wenn dadurch das Risiko einer Pulpaexposition vermieden werden kann [Schwendicke et al., 2016; 2017]. Die Erfolgsraten reduzieren sich nicht im Vergleich zur „vollständigen“ Kariesentfernung. In der Kinderzahnheilkunde kommt dazu, dass eine pulpanahe Exkavation schmerzhafter ist und oft die primäre Kooperation des Kindes überfordert. Daher reduziert die selektive Kariesentfernung mitunter die Notwendigkeit für invasivere Maßnahmen wie Lokalanästhesien, Pulpotomien und damit auch häufig Behandlungen unter Narkose. Die Versiegelung von kariös verändertem Dentin und der folgende Substratentzug lassen Aktivität und Anzahl der Mikroorganismen sinken, was die Kariesprogression verhindert. Gleichzeitig wird der Pulpa Zeit gegeben, um durch Reizdentinbildung die Verbindung zur kariösen Läsion abzudichten. Außerdem kann statt der üblichen Kariesentfernung mit rotierendem Instrumentarium kariös verändertes Dentin angelöst und chemomechanisch entfernt werden. Da der Rosenbohrer bei Kindern häufig als unangenehm empfunden oder sogar gefürchtet wird, kann die chemomechanische Kariesentfernung gerade initial eingesetzt werden, um bei offenen Dentindefekten primär „ohne Bohrer“ zu arbeiten. Die Adhäsivtechnik erleichtert dies ebenfalls, weil keine strengen Präparationsregeln zur Gestaltung der Kavität (wie zum Beispiel bei Amalgam) bestehen und Restaurationen damit defektbezogen und minimalinvasiv gestaltet werden können. Dass bei der chemomechanischen Kariesentfernung kein rotierendes Instrumentarium benutzt wird und damit die Aerosolbelastung geringer ist, gereichte ihr gerade während der COVID19-Pandemie zum Vorteil. Die chemomechanischen Verfahren, zum Beispiel mit Carisolv oder Papacárie Duo, wurden klinisch untersucht [Beeley et al., 2000; Cardoso et al., 2020]. Allerdings müssen Schmelz oder alte Füllungen natürlich immer konventionell mit dem „Bohrer“ präpariert oder entfernt werden, weshalb offene kariöse Dentinläsionen, wie sie häufig im Milchgebiss vorkommen, dafür geeigneter sind. Nicht-restaurative Kariestherapien Früher war die vollständige Entfernung der kariösen Zahnhartsubstanz mit anschließender restaurativer Versorgung die bewährte Standardtherapie in der Zahnmedizin. Mit dem heutigen, oben beschriebenen biologischen Verständnis der Kariesentstehung hat sich die Perspektive geändert. Karies wird nicht mehr als Infektionskrankheit gesehen, sondern als dynamischer Prozess, der durch eine gezielte Beeinflussung des Biofilms und die Steuerung der De- und Remineralisationsprozesse gestoppt oder verlangsamt werden kann [Kidd und Fejerskov, 2013]. (Häusliche) Kariesinaktivierung Die (häusliche) Kariesinaktivierung bietet hier einen biologischen, ursächlichen Ansatz: Gerade bei offenen, kariösen Defekten ohne irreversible pulpale Schädigung kann sie zum Beispiel bei jüngeren Angstpatienten als non-invasive Kariestherapie ohne Bohrer [Santamaria et al., 2015], Zange oder gar Narkose dienen [Hansen und Nyvad, 2017]. Dabei sind regelmäßige Mundhygienemaßnahmen und eine risikogerechte Zufuhr an Fluoriden essenzielle Bausteine der Therapie (Abbildung 1). zm115 Nr. 09, 01.05.2025, (740) Abb. 3: Schematische Darstellung der Entfernung des überhängenden Zahnschmelzes für die Kariesinaktivierung: Klinisch nicht gut zugängliche Approximalkaries an zwei Milchmolaren (a). Nach der rotierenden Entfernung (b) des überhängenden Zahnschmelzes sind die kariösen Läsionen mit Fluoridlack zu touchieren und auch die Plaqueentfernung zu Hause mittels Zahnbürste ist möglich. Die Kavitäten sollten reinigungsfähig und daher möglichst rundlich sein – dementsprechend sollten rundliche/knospenförmige Schleifer genutzt werden. Foto: Ruth Santamaria PD Dr. med. dent. habil. Julian Schmoeckel, M.Sc. Oberarzt der Poliklinik für Kinderzahnheilkunde, ZZMK Universitätsmedizin Greifswald Walther-Rathenau-Str. 42, 17475 Greifswald Foto: privat PD Dr. med. dent. habil. Ruth M. Santamaría, M.Sc. Oberärztin der Poliklinik für Kinderzahnheilkunde, ZZMK Universitätsmedizin Greifswald Walther-Rathenau-Str. 42, 17475 Greifswald Foto: privat a b

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=