Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 9

TITEL | 43 Die Kariesinaktivierung von approximal kariösen Läsionen bei Milchzähnen ist schwieriger, da diese in der Regel nicht gut für die tägliche Mundhygiene zugänglich sind. Daher können diese Läsionen für eine Kariesinaktivierung in der Zahnarztpraxis oberflächlich rotierend eröffnet werden (Abbildung 3), um dort eine manuelle Plaqueentfernung durch das Zähneputzen und Fluoridierungen zu Hause beziehungsweise in der Praxis zu ermöglichen. Ferner erhalten die Eltern exakte Mundhygiene- und Ernährungsinstruktionen sowie eine effektive Motivation zur entsprechenden Umsetzung. Das beinhaltet auch ein Putztraining und Anwendung von Techniken im Rahmen der sprechenden Zahnmedizin wie „motivational interviewing“ [Miller und Moyers, 2017]. Bei dieser nichtrestaurativen Kariestherapie wird im Gegensatz zu den Standardfüllungen das Kariesmanagement bewusst auf die Patientenebene verlagert, da nur durch die manuelle Störung des Biofilms (also das Putzen) der chronische Kariesprozess gestoppt werden kann und somit eine Inaktivierung von Karies erfolgt [Kidd und Fejerskov, 2013]. In diesem Falle ist nicht zwingend eine restaurative Therapie notwendig, kann aus ästhetischen oder funktionellen Gründen aber sekundär bei inaktiven Läsionen erfolgen. Die zentrale Zielsetzung dieser Kariestherapieoption (Kariesinaktivierung) besteht folglich darin, das chronische Ungleichgewicht durch eine Reduktion der Demineralisationsfaktoren und eine Verbesserung der Remineralisation zu kompensieren, was die Eltern durch das Nachputzen der Kinderzähne mit fluoridhaltiger Zahnpasta selbst durchführen. Eigene Auswertungen haben gezeigt, dass die häusliche Kariesinaktivierung kombiniert mit regelmäßigen Fluoridlackapplikationen in der Praxis selbst bei Kariesrisikokindern genauso erfolgreich war wie die approximale Kompomerfüllung [Santamaría et al., 2018], was sich mit der internationalen Literatur deckt [Peretz und Gluck, 2006; Schmoeckel et al., 2020]. Merke: Karies wird primär dort behandelt, wo sie entsteht – zu Hause! Kariesinaktivierung mit Silber-Fluorid-Produkten Neben der Kariesinaktivierung über das tägliche Zähneputzen mit fluoridhaltigen Zahnpasten ist eine Kariesinaktivierung über die Applikation von Silberfluorid (AgF) beziehungsweise Silber-Diammin-Fluorid (SDF) möglich [Santamaria et al., 2024]. Die SDF-Lösung besteht aus Diamminsilberionen und Fluoridionen, die den Demineralisierungsprozess und den Abbau von Dentinkollagen verhindern und zusätzlich die Remineralisierung von kariösem, demineralisiertem Schmelz und Dentin fördern [Mei, Ito et al., 2013]. SDF besitzt zudem antibakterielle Eigenschaften, die innerhalb der bakteriellen Mikroflora ihre Wirkung entfalten [Mei, Li et al., 2013]. Ein systematisches Review ergab ferner, dass SDF das Wachstum kariogener Bakterien inhibiert [Zhao et al., 2018]. Wissenschaftlich wurde bereits eindeutig belegt, dass kavitierte kariöse Läsionen durch die halbjährliche Applikation von 38-prozentiger SDFLösung im Vergleich zur Anwendung von 5-prozentigem NaF-Lack besser inaktiviert werden. Insgesamt wurden bereits mehr als zehn randomisierte klinische Studien veröffentlicht [Horst, 2018; Mei et al., 2018], in denen die Effektivität von SDF analysiert wurde. Des Weiteren wurden die Pharmakokinetik [Vasquez et al., 2012] und die Reaktion der Gingiva bei der Anwendung von SDF untersucht [Castillo et al., 2011]. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass im Rahmen dieser Studien nicht nur die Effektivität von SDF belegt wurde, sondern auch keine signifikanten Nebenwirkungen bei der Anwendung dieses Produkts aufgetreten sind. zm115 Nr. 09, 01.05.2025, (741) Abb. 4: Ergänzend zum Eröffnen der Approximalläsionen mittels Schleifer zur häuslichen Kariesinaktivierung (NRCC) kann eine SDF-Applikation erfolgen. Dies reduziert den Druck für eine perfekte Reinigung der Kavitäten durch die Eltern und bedarf in diesem Fall wahrscheinlich bis zur physiologischen Exfoliation keiner weiteren invasiven Therapie. Foto: Julian Schmoeckel SDF-KARIESTHERAPIE IST OFF-LABEL-BEHANDLUNG Die in Europa verfügbaren Silberdiamminfluoridprodukte sind als Medizinprodukt offiziell für die Behandlung von Überempfindlichkeit zugelassen (Riva Star® und Riva Star Aqua®, SDI Limited). Dennoch werden sie im Rahmen der Off-Label-Behandlung von Karies aufgrund der enormen Vorteile und der großen wissenschaftlichen Evidenz vielfach eingesetzt: Zahnärzte können SDF „Off-Label“ auf der Grundlage ihrer klinischen Beurteilung und der Bedürfnisse der Patienten verwenden, sofern sie die informierte Zustimmung der Patienten oder ihrer Erziehungsberechtigten einholen [Gao et al., 2021; Crystal, and Niederman, 2016]. Beispielsweise stellt die British Society of Paediatric Dentistry stellt zusätzliche Informationen und Ressourcen für die Verwendung von SDF zur Verfügung (https://www.bspd.co.uk/Professionals/ Resources). Die Kosten für die Kariesbehandlung mit SDF werden allerdings nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Das Produkt selbst ist jedoch verhältnismäßig preiswert, insbesondere wenn eine Kapsel für mehrere Zähne – wie häufig der Fall – genutzt wird. CME AUF ZM-ONLINE Kariestherapie im Milchzahngebiss mit und ohne Bohren Für eine erfolgreich gelöste Fortbildung erhalten Sie zwei CME-Punkte der BZÄK/DGZMK.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=