Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 9

52 | TITEL Untersuchungen konnten inzwischen jedoch zeigen, dass kein eindeutiger Zusammenhang zwischen der klinisch wahrgenommenen Härte des Dentins und der bakteriellen Kontamination besteht [Maltz et al., 2012b; Banerjee et al., 2002; Sidaway et al., 1964]. Das Härtekriterium stellt somit keinen sicheren Indikator für das Fehlen von Bakterien dar [Carvalho, 2023]. Aus diesem Grund besteht heute internationaler Konsens, nicht mehr von vollständiger oder unvollständiger Kariesexkavation zu sprechen. Stattdessen wird das traditionelle Vorgehen mit einem einheitlichen Entfernungsendpunkt als non-selektiv bezeichnet, während ein Vorgehen, bei dem je nach Lokalisation und Pulpanähe unterschiedliche Entfernungsendpunkte gewählt werden, als selektiv bezeichnet wird [Innes et al., 2016]. Die in den 1970er-Jahren eingeführten organischen Farbstoffe zur Identifikation kariösen Dentins waren in mikrobiologischen Untersuchungen wenig spezifisch. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Farbstoffe bevorzugt an Dentinareale mit reduziertem Mineralgehalt und erhöhtem organischem Anteil binden. Zudem stellte sich heraus, dass die Penetration der Farbstoffe von ihrer Molekülgröße sowie von der Beschaffenheit des jeweiligen Substrats abhängig ist. Dies bedeutet unter anderem, dass pulpanahe Areale mit einem größeren Querschnitt der Dentintubuli eine verstärkte Tendenz zur Farbstoffaufnahme aufweisen. Die fehlende Korrelation zwischen Anfärbung und bakterieller Kontamination führt zu einer unnötigen Entfernung von Dentin und einer damit verbundenen Übertherapie, die das Risiko der Pulpaeröffnung erhöht. Daher wird heutzutage vom Anfärben mit sogenannten Kariesdetektoren abgeraten [Schwendicke et al., 2015; Kidd et al., 1993]. Bei der Definition des Endpunkts der selektiven Kariesentfernung gibt es Unterschiede, die je nach Arbeitsgruppe zm115 Nr. 09, 01.05.2025, (750) PULPITISDIAGNOSTIK – DIAGNOSE UND THERAPIESCHEMA Temperaturempfindlichkeit Schmerzqualität Perkussionsempfindlichkeit Röntgenbefund Schmerzauftreten Therapieoptionen symptomfreie Pulpa physiologisch nicht vorhanden nicht vorhanden ohne pathol. Befund# keine Schmerzen selektive Kariestherapie initiale Pulpitis verstärkt* und reizsynchron (kalt) hell, reizinduziert nicht vorhanden ohne pathol. Befund# reizinduziert selektive Kariestherapie milde Pulpitis verstärkt, reizüberdauernd (bis zu 20 Sekunden) hell möglicherweise ohne pathol. Befund# reizinduziert selektive Kariestherapie moderate Pulpitis verstärkt und bis zu einigen Minuten prolongiert (v.a. kalt) dumpf möglicherweise ohne pathol. Befund# Spontanschmerz (mit Analgetika supprimierbar) koronale Pulpotomie a) partiell b) vollständig schwere Pulpitis verstärkt und reizüberdauernd auf warm und kalt spitz bis dumpf, pochend vorhanden apikaler PA-Spalt kann verbreitert sein Nachtschmerz, Dauerschmerz, Spontanschmerz koronale Pulpotomie, bei persistierender Blutung aus den Kanälen bis zur vollständigen Pulpektomie * immer im Vergleich zu karies- und füllungsfreien Nachbarzähnen; # meint hier: PA-Spalt ist apikal durchgängig in physiologischer Breite nachvollziehbar Tab.1 Quelle: adaptiert und basierend auf [Wolters et al., 2017] Abbildung 2: Primärkariöse Läsion an Zahn 15: A) Röntgenologische Ausdehnung bis ins pulpanahe Dentinviertel distal (schwarzer Pfeil): Die Zähne 17 bis 15 stellten sich symptomfrei, mit positivem Sensibilitätstest auf Kälte (-20 °C, Chloräthylspray) und röntgenologisch ohne apikale Veränderung dar. B) zeigt den klinischen Zustand nach selektiver Kariesentfernung unter Belassung des erweichten kariösen Dentins an der pulpazentralen Wand A B

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