Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 9

TITEL | 55 einzeitiges Vorgehen mit selektiver Kariesentfernung und unmittelbarer definitiver Versorgung weist gegenüber dem zweizeitigen Vorgehen allerdings eine eindeutig höhere Erfolgsquote auf [Maltz et al., 2012a]. Daher ist dieses Vorgehen in der Regel vorzuziehen, zumal dadurch auch die zuvor beschriebenen Nachteile, die sich aus der zweiten Behandlungssitzung ergeben, vermieden werden. Was gibt es bei der Adhäsivtechnik zu beachten? Die Kariesexkavation stellt lediglich den ersten Schritt auf dem Weg zur definitiven Restauration dar. Bei adhäsiven Restaurationen bestimmt das Ausmaß des kariös veränderten und entfernten Zahnhartgewebes maßgeblich die Präparationsform [Haak et al., 2015]. Aus kariologischer Sicht ist relevant, ob durch das gewählte Vorgehen eine Progression der kariösen Läsion verhindert werden kann. Werkstoffkundlich steht dagegen im Vordergrund, ob die Stabilität und Langlebigkeit der Restauration gewährleistet werden kann. Das Ziel ist es daher, beide Perspektiven miteinander zu verbinden und nur so viel kariös veränderte Zahnhartsubstanz zu entfernen, wie für eine langfristig stabile Versorgung unbedingt nötig ist. Gleichzeitig sollte der Eingriff möglichst minimalinvasiv erfolgen, um den Zahn und insbesondere die Vitalität der Pulpa zu schonen [Bjørndal, 2008]. Eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg der zurückhaltenden selektiven Kariesentfernung ist die adäquate Isolation der Läsion durch eine dichte Restauration [Carvalho, 2023]. Da vollständig dichte oder perfekt adaptierte Restaurationen im klinischen Alltag nicht erreichbar sind, wird häufig argumentiert, dass bereits diese Anforderung jede Form der selektiven Kariesentfernung grundsätzlich infrage stelle. Allerdings zeigen langjährige klinische Untersuchungen und insbesondere die wegweisenden Studien von Mertz-Fairhurst et al., dass bereits in den 1970er-Jahren mit den damals verfügbaren Materialien und selbst ohne Dentinadhäsive eine ausreichende Abdichtung durch Amalgam- und Kompositrestaurationen erzielt werden konnte [Mertz-Fairhurst et al., 1998]. Die Forderung nach einer dichten Restauration stellt somit keine unrealistische Idealvorstellung, sondern vielmehr ein klinisch erreichbares Zieldar. Bei der selektiven Kariesentfernung sind verschiedene Substrate für die adhäsive Anbindung vorhanden (Abbildungen 3 und 5). Neben Zahnschmelz treten regelmäßig unverändertes Dentin, sklerotisches Dentin, kariös verändertes Dentin (caries-affected) sowie eventuell pulpanahes infiziertes kariöses Dentin (caries-infected) nebeneinander auf (Abbildung 5) [Isolan et al., 2018]. Der adhäsive Verbund ist an kariös verändertem und insbesondere erweichtem Dentin beeinträchtigt [Lennon et al., 2023]. Im Mikrozugfestigkeitsversuch erzielten Lennon et al. am kariös veränderten Dentin bessere Ergebnisse mit Universaladhäsiven im Self-etch-Modus verglichen mit Etchand-Rinse-Adhäsiven. Weitere Untersuchungen bestätigten, dass unverändertes Dentin eine deutlich bessere Haftung zu Adhäsivsystemen aufweist als sklerotisches, kariös verändertes oder infiziertes Dentin [Hass et al., 2019; Nakajima et al., 1995]. Da klinisch jedoch häufig verschiedene Dentinzonen gleichzeitig auftreten (Abbildungen 3 und 4), bleibt die Gesamthaftung ausreichend, sofern eine ausreichende Fläche nicht kariös veränderter Zahnhartsubstanz im peripheren Bereich der Kavität (periphere Versiegelungszone) vorhanden ist. Die Haftung kann dabei regional eingeschränkt sein [Innes et al., 2016]. Die Menge des belassenen, weichen kariösen Dentins im Kavitäten zentrum könnte klinisch relevant sein. Bei größeren Mengen zurückgelassenen weichen Dentins kann durch Feuchtigkeitsverlust nach dem Verschluss eine Schrumpfung entstehen [Bjørndal, 2018]. Daraus resultierende Hohlräume unter der Restauration erzeugen Spannungsspitzen im Randbereich, die den ohnehin beanspruchten adhäsiven Verbund zusätzlich belasten und den Therapieerfolg beeinträchtigen können. Diese potenziellen Nachteile lassen sich jedoch durch eine defektorientierte, minimalinvasive Präparation mit reduzierter Kavitätengröße kompensieren, selbst wenn der Anteil veränderten Dentins am Volumen der Kavität am größten ist. Insgesamt ist die Wirkung der Schmelz- und Dentinhaftung auch in Fällen mit reduzierter Haftung im kariös veränderten Dentin klinisch ausreichend, um dauerhaft stabile adhäsive Restaurationen anzufertigen. Was passiert mit dem belassenen kariösen Dentin unter der Restauration? Ganz allgemein ist das Verbleiben von Bakterien unter einer Restauration nicht vermeidbar. Die Frage, wie sauber beziehungsweise steril eine Kavität vor Legung der Restauration sein muss, relativiert sich durch diese Erkenntnis und mit dem Wissen, dass durch die Unterbindung der Substratzufuhr bei einer dichten adhäsiven Restauration und wahrscheinlich auch durch die Adhäsivpenetration ins kariöse Dentin (Abbildung 5) Veränderungen im belassenen kariösen Dentin eintreten. Untersuchungen, die unter Adaptation der schrittweisen Kariesentfernung durchgeführt wurden, konnten zeigen, dass sich die mikrobiologische Zusammensetzung im belassenen kariösen Dentin quantitativ und qualitativ verändert. Zum einen nimmt die Menge der kultivierbaren und auch nachweisbaren Bakterien im kariösen Dentin ab. Zum anderen treten auch qualitativ Veränderungen ein: Die bakterielle Zusammensetzung im karizm115 Nr. 09, 01.05.2025, (753) CME AUF ZM-ONLINE Kariesentfernung – Wie viel kann belassen werden? Für eine erfolgreich gelöste Fortbildung erhalten Sie zwei CME-Punkte der BZÄK/DGZMK. ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden.

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