zm115 Nr. 09, 01.05.2025, (754) 56 | TITEL ösen Dentin ist einige Monate nach der selektiven Kariesentfernung weniger komplex und enthält weniger kariogene Spezies als zum Zeitpunkt der selektiven Kariesentfernung [Schmidt et al., 2021; Schmidt et al., 2020; Paddick et al., 2005; Bjørndal/Larsen, 2000]. Klinisch sind ebenfalls Veränderungen des belassenen kariösen Dentins nach einigen Monaten beschrieben. Analog zu arretierten kariösen Läsionen stellt sich dieses härter und dunkler dar [Orhan et al., 2008; Pinto et al., 2006]. Diese Erkenntnisse weisen auf die Inaktivierung und Arretierung der kariösen Läsion unter der Restauration hin. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass bei größeren Bereichen nicht entfernter kariöser Biomasse (Durchmesser > 1 mm) in ausgedehnten, unterminierenden MOD-Seitenzahnkavitäten Schmelzrisse verstärkt auftraten [Frankenberger/Haak, 2020]. Helfen adjuvante Substanzen? Im Fall geringer Restdentinstärke ist die Schädigung der Pulpazellen (Odontoblasten, Fibroblasten) einerseits durch den belassenen Biofilm mit seinen Stoffwechselprodukten sowie andererseits durch die in Dentaladhäsiven enthaltenen Monomere ein mögliches Risiko [Duncan/El-Karim, 2024; Duncan et al., 2019] und könnte die Vitalerhaltung negativ beeinflussen. Aus diesem Grund stellt sich die Frage nach der Anwendung von adjuvanten Substanzen auf dem kariösen Dentin, im Sinne einer indirekten Überkappung (Abbildung 6). Diese Materialien sind ursprünglich in tiefen Läsionen zur Reduktion der verbliebenen Bakterien, zur Induktion der Tertiärdentinbildung und als Schutz gegen pulpatoxische Substanzen zum Einsatz gekommen [About et al., 2001]. Potenziell infrage kommende und in der Literatur beschriebene Materialien sind Calciumhydroxid und Calciumhydroxidzemente sowie (kunststoffmodifizierte) Glasionomerzemente [Opal et al., 2017; Corralo/Maltz, 2013; Paddick et al., 2005] und lichthärtende Liner und Zemente mit Calciumhydroxidzusatz (zum Beispiel Calcimol LC; VOCO). Calciumsilikat-basierte Materialien [Gözetici-Çil et al., 2024], wie MTA oder Biodentine (Septodont), zeigen hervorragende Eigenschaften hinsichtlich der Biokompatibilität und der Förderung der Hartgewebsneubildung im Zellkontakt [About, 2022]. Damit kommen Sie ebenfalls für die adjuvante Anwendung auf belassenem kariösem Dentin infrage. Verfügbare Studien zeigen keinen signifikanten klinischen Effekt durch die Applikation eines Liners nach selektiver Kariesentfernung in profunden Läsionen [Gözetici-Çil et al., 2023; Singh et al., 2019]. Entscheidend für den Erfolg der selektiven Kariesentfernung ist der adäquate adhäsive Verbund. Ist dieser gegeben und die Substratzufuhr aus der Mundhöhle unterbunden, wird die Remineralisierung des kariös veränderten Dentins von der Pulpa selbst vermittelt. Die zusätzliche Applikation einer potenziell therapeutischen Substanz in Pulpanähe stellt im Hinblick auf den adhäsiven Verbund eine Fehlerquelle dar und ist bei korrekter Durchführung mitunter sehr zeitaufwendig, so dass sie nur in wenigen Ausnahmefällen zu empfehlen ist. Wie hoch ist das Misserfolgsrisiko bei der selektiven Kariesentfernung? Den größten Fallstrick für den Erfolg der Therapie stellt die korrekte Pulpadiagnose dar. Da vitales und regenerationsfähiges Pulpagewebe die Grundvoraussetzung für den klinischen Erfolg darstellt, ist eine valide Einschätzung des Pulpazustands essenziell für den Therapieentscheid. Die aktuell in der klinischen Anwendung etablierten Untersuchungsverfahren sind in ihrer Validität eingeschränkt. Meist kommt die Sensibilitätsprüfung mittels Kälte zum Einsatz, die in Abhängigkeit vom Kältemedium bei unterschiedlichen Temperaturbereichen von -20 °C (Kältespray) bis -80 °C (CO2-Schnee) durchgeführt wird. In Abhängigkeit von der Temperatur, dem Ort der Kälteapplikation, der Pulpaobliteration, aber auch intersowie intraindividuell unterschiedlichen Reizschwellen variieren die Testergebnisse interindividuell auf Patientenebene sowie auch intraindividuell auf Zahnniveau. Es kann daher sowohl zu falsch positiven als auch falsch negativen Ergebnissen kommen [Sui et al., 2021]. Indirekt können Röntgenaufnahmen auch Rückschlüsse geben: So zeigen dentindichte Verschattungen innerhalb des Pulpakavums eine Tertiärdentinbildung an, was ein deutlicher Hinweis auf Reparaturvorgänge und eine damit einhergehende Vitalität der Pulpa ist [Ricucci et al., 2014]. Kommt es zu einer falschen Einschätzung der Regenerationsfähigkeit der Pulpa, führt dies meist zu frühen Misserfolgen, die sich innerhalb von Tagen oder Wochen in einer irreversiblen Pulpitis mit Pulpanekrose und in vielen Fällen auch Schmerzen äußern [Chua et al., 2023]. Weiterführende endodonAbbildung 6: Klinische Situationen nach Applikation eines Calciumsilikat-Zements (A) und eines Calciumhydroxidzements (B) in Pulpanähe A B Fotos: Rainer Haak, Jana Schmidt
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