ZAHNMEDIZIN | 45 zm115 Nr. 10, 16.05.2025, (839) Abgesehen davon, ob eine Füllung bakteriendicht ist oder nicht: Neben kariogenen Bakterien, die sich von Kohlenhydraten ernähren, kommen im infizierten Dentin auch bestimmte anaerobe asaccharolytische Bakterien vor, welche stickstoffhaltige Substrate zur Energiegewinnung benutzen. Proteine und Glykoproteine aus demineralisiertem Kollagen und Gewebeflüssigkeit aus den Dentintubuli dienen diesen Mikroorganismen als Nahrung. Anaerobe asaccharolytische Bakterien können sich auch unter „versiegelten“ Füllungen vermehren. Die Abbauprodukte dieser Mikroorganismen führen dann zu einer Entzündung des Pulpagewebes [Paddick et al., 2005; Lima et al., 2011; Rôças et al., 2015; Rôças et al., 2016]. Auch die Applikation von Kalziumhydroxid führt nicht zu einer Desinfektion der Kavität: Nach selektiver Kariesexkavation und achtwöchiger Applikation von Kalziumhydroxid wurden zwar azidogene und azidurische Streptokokken und Laktobazillen in ihrer Überlebensfähigkeit limitiert, aber Aktinomyzeten sowie Streptomyzeten, die das basische Milieu bevorzugen, begünstigt [Heinrich et al., 1991]. Diese Bakterien können im kariösen Dentin unter Füllungen überleben. Zurückgelassene Bakterien im Dentin bergen daher immer die Gefahr eines Kariesrezidivs und bilden selbst nach dem Absterben der Mikroorganismen ein Reservoir an Toxinen (Endotoxine), wodurch Entzündungsvorgänge in der Pulpa aufrechterhalten werden können [Cooper et al., 2010]. Werden diese bakteriellen Stoffwechselprodukte (Endodotoxine wie zum Beispiel Lipopolysaccharide und Lipoteichonsäuren) in tiefen Kavitäten freigesetzt, diffundieren sie durch das verbliebene Dentin und dringen in die Pulpa ein. Dadurch werden aus den Odontoblasten und Makrophagen Entzündungsmediatoren freigesetzt, die zu einer chronischen Entzündung des Pulpagewebes führen [Schweikl et al., 2017]. Das heißt, auch wenn Bakterien unter der Füllung nicht überleben und absterben, kommt es zu einer Entzündung der Pulpa. Dazu müssen nicht die Bakterien selber in das Gewebe eindringen, es reichen deren Stoffwechselprodukte. Letztlich ist es also unerheblich, ob die Mikroorganismen unter einer Füllung „verhungern“ oder nicht. Sowohl Bakterien als auch bakterielle Stoffwechselprodukte aus der Karies (Endotoxine) können durch Dentinkanälchen Richtung Pulpa diffundieren und dann eine entzündliche Veränderung des Pulpagewebes verursachen [Love, 2002; Love und Jenkinson, 2002]. Mikroorganismen können innerhalb von sieben Wochen bis acht Monaten 500 bis 3.000 μm tief in das Dentin pulpavitaler Zähne Richtung Pulpa eindringen [Lundy und Stanley, 1969, Taschieri et al., 2014]. Endotoxine diffundieren dabei problemlos durch 0,5 mm dickes Dentin [Nissan et al., 1995]. Daher führt auch eine inaktive Karies histologisch zu Veränderungen des Pulpagewebes [Kuwabara und Massler, 1966], nur dauert dies oft Jahre [Langeland, 1981]. Selbst eine ausgeprägte Schicht von Reizdentin am Kavitätenboden schützt die Pulpa nicht vor Kariesbakterien und deren Stoffwechselprodukten und damit nicht vor einer Nekrose durch Karies [Langeland und Langeland, 1968; Bergenholtz, 2000]. Auch ohne Freilegung des Pulpagewebes kommt es demnach zu einer Entzündung durch bakterielle Zerfallsprodukte (Endotoxine). Pulpareaktionen treten bereits als Folge einer oberflächlichen Dentinkaries auf. Dabei gibt es eine direkte Korrelation zwischen dem Ausmaß der Karies und den Reaktionen der Pulpa darauf. Sobald die Dentinkaries sich pulpawärts ausbreitet, nehmen die Pulpareaktionen zu. Dabei ist nicht die gesamte Pulpa entzündet, sondern es sind nur die Bereiche, wo Bakterien oder Endotoxine eindringen [Langeland und Langeland, 1968; Ricucci et al., 2019; Ricucci et al., 2020]. Dort verliert die Pulpa die Fähigkeit zur Regeneration (Übergang von einer reversiblen zu einer irreversiblen Pulpitis) [Hahn und Liewehr, 2007 a-c]. Ein Rückgang der Entzündung kann histologisch dagegen nachgewiesen werden, wenn das gesamte kariöse Dentin entfernt wird [Langeland und Langeland, 1968]. Mikroorganismen und ihre Stoffwechselprodukte spielen die entscheidende Rolle bei der Entstehung von pathogenen Pulpaveränderungen und periapikalen Erkrankungen. Das Vorkommen beziehungsweise das Fehlen von Mikroorganismen ist DER bestimmende Faktor bei der Erkrankung beziehungsweise Heilung von Pulpagewebe [Kakehashi et al., 1965; Möller et al., 1981]. Füllungsfrakturen Eine Grundvoraussetzung für den Erfolg der selektiven Kariesexkavation soll sein, dass die kariöse Läsion durch die hermetisch dichte, adhäsive Restauration von der oralen Umgetillda@uni-muenster.de n 1987 bis 1993: Studium der Zahnmedizin n seit 1994: Mitarbeiter in der Poliklinik für Zahnerhaltung an der Universität Münster n 1996: Promotion an der Universität Göttingen n 1998: Ernennung zum Oberarzt n 2008: Habilitation n 2012: Ernennung zum außerordentlichen Professor n seit 2015: Leiter der Sektion „Kariologie und Kinderzahnmedizin“ in der Klinik für Parodontologie und Zahnerhaltung in Münster n Zertifiziertes Mitglied der Europäischen Gesellschaft für Endodontie (ESE) n Mitglied des Editorial Board nationaler und internationaler Fachzeitschriften n Mitglied der Arzneimittelkommission der BZÄK n Über 100 Publikationen und Mitautor verschiedener Kapitel in internationalen Lehrbüchern Prof. Dr. Till Dammaschke Universität Münster Poliklinik für Parodontologie und Zahnerhaltung Waldeyerstrasse 30 48149 Münster
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