52 | ZAHNMEDIZIN zm115 Nr. 10, 16.05.2025, (846) sorgung fallen, kommen bei guten Behandlungsmöglichkeiten die bekannten Restaurationstechniken zur Anwendung, die sich über einfache Kompositfüllungen, wenn möglich mit Zugang von approximal, Techniken mit Boxelevation [Muscholl und Wolff, 2022] oder die Versorgung mit Kronen erstrecken. Versorgungen mit Glasionomeren (gegebenenfalls ART) sind für die Situationen angezeigt, in denen die Behandlungsmöglichkeiten eingeschränkt sind [Paris et al., 2020]. Dies ist der Fall bei schwierig zugänglichen zirkulären Läsionen, mangelnder Feuchtigkeitskontrolle, bei gesundheitlichen Einschränkungen der Patienten und nicht zuletzt bei der aufsuchenden Behandlung. Schließlich sollte die Indikation zur Extraktion bei ausgedehnten Läsionen und sehr kompromittierten Patienten gestellt werden. Die klinische Erfahrung zeigt, dass die restaurative Behandlung von Wurzelkaries oftmals mühsam, zeitraubend und nicht immer erfolgreich ist. SDF kann jedoch in vielen Fällen diese klinischen Herausforderungen lösen. In Tabelle 1 finden Sie einen Vorschlag zur Indikationsstellung der beschriebenen Verfahren. Wirkung und Anwendung von SDF Silberdiamminfluorid ist eine wasserlösliche Verbindung, die aus Silberionen (Ag+), Ammoniak (NH₃) und Fluoridionen (F-) besteht. Ammoniak dient in dieser Verbindung als Stabilisator, indem es die Lösung alkalisch hält. Bei einer Konzentration von 38 Prozent entspricht das einer Konzentration von 44.800 ppm Fluorid und 255.000 ppm Silberionen. In seiner physikalischen Erscheinung ist SDF eine klare bis leicht gelbliche Flüssigkeit mit einem charakteristischen metallischen und leicht ammoniakartigen Geruch. Aufgrund der hohen Alkalität kann es bei Schleimhautkontakt zu leichten Reizungen kommen (Abbildung 2). Eine bekannte Nebenwirkung bei Anwendung auf kariösen Läsionen ist die Schwarzfärbung des behandelten Bereichs (Abbildungen 3, 4). Verfärbungen können aber auch bei Applikation auf kariesfreien Wurzeloberflächen entstehen, diese sind jedoch mit einer professionellen Zahnreinigung gut zu entfernen (Abbildung 2). Silberdiamminfluorid wird bei Kindern, aber auch bei Älteren erfolgreich zur Primärprävention von Karies sowie zur Arretierung von bestehenden Läsionen eingesetzt [Worthington et al., 2024] und hat in den letzten zehn Jahren zunehmend wissenschaftliches Interesse gefunden [Qasim et al., 2021]. Bei Wurzelkaries ist die Evidenz allerdings noch relativ gering [Zhang et al., 2020]. Die Wirksamkeit von SDF bei der Behandlung von Wurzelkaries wurde in vier wesentlichen Studien untersucht, die Beobachtungszeiträume zwischen zwölf und 36 Monaten umfassten und unterschiedliche Fragestellungen behandelten. Dabei zeigte sich, dass SDF im Vergleich zu Placebo oder alleiniger Mundgesundheitsberatung signifikant positiveEffekte aufweist [Li et al., 2017; Tan et al., 2010; Zhang et al., 2013]. Allerdings war kein deutlicher Vorteil gegenüber Chlorhexidin (CHX)- oder Natriumfluorid (NaF)-Lacken erkennbar [Tan et al., 2010]. Eine mögliche Einschränkung letzterer Ergebnisse liegt jedoch in der Anwendungsfrequenz: Während die Lacke in der betreffenden Studie vierteljährlich aufgetragen wurden, erfolgte die Applikation von SDF lediglich einmal pro Jahr. Eine weitere Untersuchung [Ericson et al., 2023] ergab, dass SDF keinen zusätzlichen Nutzen für Personen mit sehr geringer Kariesaktivität hat. Die jährliche oder halbjährliche Anwendung von SDF in diesen Studien entspricht der Anwendungsfrequenz von Fluoridlacken in Kariespräventionsprogrammen bei Jugendlichen. Angesichts der Charakteristik der Wurzelkaries, die ja durch eine erhebliche bakterielle Besiedelung des Dentins bis in tiefere Schichten und der Tendenz zu rascher Progredienz gekennzeichnet ist, erscheint dieses Anwendungsintervall möglicherweise zu lang. Tatsächlich zeigt die klinische Erfahrung, dass es möglich ist, bei mehrmaliger Applikation innerhalb eines Vierteljahrs auch sehr aktive Läsionen mit taktil weicher Oberfläche trotz eingeschränkter Mundhygiene gut zu erhärten (Abbildung 4). Für die koronale Karies bei Kindern konnte die bessere Wirkung nach wiederholter Anwendung allerdings nicht bestätigt werden. [Smutkeeree et al., 2025]. Die Anwendung ist denkbar einfach. Zunächst sollte die Zahnoberfläche bestmöglich gereinigt werden, die Läsion wird jedoch nicht exkaviert. Anschließend kann SDF unter relativer Trockenlegung mit einem Applikator aufgetragen werden. Das Präparat sollte 30 bis 60 Sekunden einwirken. Die Bestrahlung mit Licht aus Polymerisationsgeräten scheint die Mikrohärte von SDF-behandelten Läsionen [Min et al., 2024] und die Penetrationstiefe von Silberionen deutlich zu erhöhen [Crystal et al., 2023]. Der Wirkungsmechanismus ist bislang nicht aufgeklärt. Die wesentlichen Verbindungen in SDF-behandelten Läsionen sind Silberphosphat, Silberoxid und Silbersulfid. Silberphosphat ist ein guter Photokatalysator [Yi et al., 2010], der spezifische chemische Reaktionen mit oder zwischen den verschiedenen beteiligten Verbindungen und ZUR SCHREIBWEISE DES SDF In den Texten des Fortbildungsteils wird SDF (AgF(NH3)2) chemisch korrekt mit Silberdiamminfluorid ausgeschrieben. Die Benennung ergibt sich daraus, dass zwei Ammoniak-Moleküle ((NH3)2; „diammin“) das Silber-Ion als Zentralteilchen als Liganden komplexieren. Amine sind dagegen organische Verbindungen, deren funktionelle Gruppe eine Aminogruppe (-NH2) ist, beispielsweise als Aminfluorid. In den meisten Veröffentlichungen wird SDF „Silberdiaminfluorid“ (mit einem „m“) ausgeschrieben – in zahnmedizinischen Kontexten handelt es sich dabei nur um unterschiedliche Schreibweisen, gemeint ist die identische chemische Verbindung beziehungsweise das gleiche Produkt.
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