GESELLSCHAFT | 63 Die Vorbereitung ist einfach: meine Lupenbrille, OP-Schuhe, Mückenspray, Malariaprophylaxe, Sonnenbrille, Badehose – und Lindt-Schokolade für schwierige Zeiten. Das Handwerk bringe ich ebenfalls mit. Was ich noch nicht weiß, lerne ich an Bord. Dank der hervorragenden Organisation von Mercy Ships benötigt man nicht viel mehr. Was umfasst die zahnmedizinische und chirurgische Behandlung an Bord? An Bord arbeiten zwei Zahnärzte, die nicht nur die Crew versorgen, sondern auch lokale Patienten behandeln sowie oftmals das gesamte Spektrum der Oralchirurgie abdecken, insbesondere bei akuten Infektionen. Am häufigsten behandeln wir MKG-Chirurgen Lippen-Kiefer-Gaumenspalten sowie gutartige tumoröse und nicht-tumoröse Veränderungen im Gesichtsschädel, darunter Lipome, Zysten, Ameloblastome, pleomorphe Adenome, vaskuläre Malformationen, chronische Knochenerkrankungen und Neurofibrome. Besonders herausfordernd sind die oft sehr großen Tumore, deren Entfernung und Rekonstruktion äußerst anspruchsvoll ist. Daneben versorgen wir auch Gesichtsdeformitäten nach Unfällen, Verbrennungen oder schweren Infektionen – etwa Osteomyelitis, Noma, Ankylosen. In den letzten Monaten setzen wir verstärkt freie Lappenplastiken ein, um die rekonstruktiven Ergebnisse nach Tumorresektionen zu verbessern. Gibt es einen besonders schwierigen Fall, der Ihnen in Erinnerung geblieben ist? Ein prägendes Beispiel war die Entfernung eines rund acht Kilogramm schweren Gesichtstumors bei einem Mann in Madagaskar im Jahr 2015. Der Eingriff dauerte zwölf Stunden und erforderte das gesamte chirurgische, anästhesiologische und pflegerische Team – und 17 Crew-Mitglieder, die spontan Blut für die notwendigen Transfusionen spendeten. Das war ein Moment, der den Geist dieser Missionen in besonderer Weise widerspiegelt! Worauf muss man bei der Arbeit in einem internationalen Team achten? Alle hier arbeiten ehrenamtlich und freiwillig, getragen von einer gemeinsamen Idee. Das schafft eine ganz besondere Atmosphäre. Natürlich gibt es in jedem Land unterschiedliche medizinische Standards und Arbeitsmethoden, weshalb man oft Kompromisse eingehen muss. Man braucht Empathie, Geduld und muss einander gut zuhören – alles wertvolle Lernerfahrungen. Wenn man sich an einfache Grundsätze wie Respekt und Akzeptanz hält, findet man immer eine Lösung. Im chirurgischen Team braucht es eine gewisse Hierarchie – auch wenn es manchmal schwerfällt. Es muss jemand die Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen. Aber es gibt immer Raum für Diskussionen und andere medizinische Meinungen, was die Zusammenarbeit so besonders macht. Was würden Sie Kollegen raten, die sich in Hilfsprojekten engagieren wollen? Für alle, die einen neuen Blick auf die Medizin, die Welt und sich selbst werfen möchten – Mercy Ships ist ein Ort, der das ermöglicht. Es ist nicht nur Arbeit, sondern eine Lebenserfahrung, die einen tiefgreifenden beruflichen und persönlichen Eindruck hinterlässt. Das Gespräch führte Laura Langer. zm115 Nr. 10, 16.05.2025, (857) SO FUNKTIONIEREN DIE „MERCY SHIPS“ Mercy Ships ist der Name der gemeinnützigen Organisation, die seit mehr als 40 Jahren mit voll ausgestatteten Hospitalschiffen in Entwicklungsländern tätig ist. Sie betreibt zwei Schiffe: die Africa Mercy und die Global Mercy – das größte zivile Hospitalschiff der Welt. Beide Schiffe führen rund zehnmonatige Einsätze in ausgewählten Häfen durch. Die Schiffe sind eigenständige, hochmoderne Krankenhäuser mit internationalen Standards. An Bord werden kostenlos Eingriffe in den Bereichen Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, plastische Chirurgie, Allgemeinchirurgie, Gynäkologie, Orthopädie und Augenheilkunde durchgeführt. Die Eingriffe sind alle geplant. Bösartige Tumorerkrankungen etwa werden nicht behandelt, da die Organisation den Patienten nicht die notwendige Weiterbehandlung wie Strahlentherapie, Chemotherapie oder Palliativmedizin anbieten kann – Leistungen, die in den Einsatzländern meist aus Kostengründen oder mangels Infrastruktur nicht verfügbar sind. Ein chirurgischer Eingriff ohne Aussicht auf angemessene Nachsorge sei ethisch nicht vertretbar. Tumorpatient auf der Africa Mercy vor ... ... und nach dem zwölfstündigen Eingriff. Fotos: Mercy Ships/Dr. Marcin Bierc
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