Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 12

ZAHNMEDIZIN | 45 zm115 Nr. 12, 16.06.2025, (1023) DAMMASCHKES ARGUMENTATION FÜR EINE VOLLSTÄNDIGE EXKAVATION Prof. Dr. Till Dammaschke plädiert in seinem Beitrag für eine vollständige Exkavation der Karies: Die selektive Kariesexkavation führe „nach der Behandlung vermutlich ‚nur‘ zu einer klinischen Symptomlosigkeit, aber langfristig nicht zu histologisch gesundem Pulpagewebe. Exkaviert man hingegen vollständig, bleibt das Pulpagewebe auch nach direkter Überkappung oder partieller Pulpotomie zu einem hohen Prozentsatz histologisch gesund“, schreibt er und ergänzt: „Da die pulpalen Veränderungen bei Belassen von Karies unter Füllungen in der Regel langsam ablaufen [Langeland, 1981], besteht für die selektive Kariesexkavation möglicherweise dann eine Indikation, wenn die klinische Behandlungssituation schwierig ist und Zähne nur (noch) eine begrenzte Verweildauer im Mund haben, wie zum Beispiel bei sehr jungen Patienten im Milchgebiss oder sehr alten Patienten mit Grunderkrankungen." Fortbildung Kariesexkavation: Wie viel muss entfernt werden? zm 10/2025 Foto: Freepik, zm Prof. Dr. Till Dammaschke Universität Münster, Poliklinik für Parodontologie und Zahnerhaltung Amalgamrestaurationen erzielt, deren Ränder zusätzlich versiegelt wurden. Dies dürfte heute nicht als zeitgemäßes Vorgehen gelten (und durch den Amalgam-Phaseout auch nicht realisierbar sein). Konventionelle Amalgamrestaurationen, die nach non-selektiver Exkavation platziert wurden, zeigten hingegen deutlich niedrigere Erfolgsraten und waren der reinen Versiegelung nicht überlegen. Insgesamt zeigt die Studie von MertzFairhurst vielmehr, dass ein Versiegeln kariöser Läsionen theoretisch möglich ist, aber unter Auslassung jeglicher Entfernung kariösen Dentins zu mechanischen Problemen führen kann. 2. In diesem Zusammenhang wird auch das Frakturrisiko nach selektiver Extraktion als potenzielles Problem dargestellt. Hierzu werden Daten zu niedrigeren Haftwerten an kariös verändertem im Vergleich mit gesundem Dentin zitiert und die In-vitro-Studie von Hevinga et al. 2010 erwähnt, die nach dem Zurücklassen größerer Mengen kariösen Dentins ein hohes Frakturrisiko von okklusalen Restaurationen beschrieben hat {Hevinga et al. 2010]. Unerwähnt bleibt allerdings, dass mehrere andere Studien dieses erhöhte Frakturrisiko nicht aufzeigen – vor allem dann nicht, wenn kariöses Dentin nicht großflächig zurückgelassen wird, sondern (wie auch in den Empfehlungen der wissenschaftlichen Fachgesellschaften dargestellt) nur kleinflächig in pulpanahen Arealen verbleibt [Hoefler et al., 2016; Jardim et al., 2020; Schwendicke et al., 2013a; Schwendicke et al., 2013b; Schwendicke et al., 2021]. Ebenso unerwähnt bleibt, dass das Einbringen von Kalziumhydroxid als Liner, wie in dem Artikel befürwortet, zu keinerlei Haftung an der abgedeckten Dentinfläche führen dürfte. Richtig ist vermutlich, dass jegliche kleinflächige Reduktion der Haftfläche (ob nun durch belassenes kariöses Dentin oder einen Liner) klinisch nur bedingt relevant ist [Miotti et al., 2023]. 3. Zusammenfassend formuliert der Autor: „Wissenschaftlich lässt sich zudem eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit der derzeit propagierten selektiven Kariesexkavation gegenüber den vitalerhaltenden Maßnahmen nach Freilegung der Pulpa nicht feststellen [Dammaschke et al., 2019; AAE, 2021].“ Dies ist nur bedingt in Einklang zu bringen mit den Ergebnissen systematischer Übersichtsarbeiten und Meta-Analysen, unter anderem der CochraneGesellschaft, die in dem Beitrag als evidenzbasiert bezeichnet werden. In einem solchen Cochrane-Review (und auf der Basis von fünf Studien) zeigte die non-selektive (vollständige) Exkavation ein signifikant höheres Risiko für Misserfolg im Vergleich zur schrittweisen und selektiven Exkavation [Schwendicke et al., 2021]. Auch eine neuere Übersichtsarbeit zur Behandlung von bleibenden Zähnen mit tiefen kariösen Läsionen kam zu einem ähnlichen Schluss: Die selektive Kariesentfernung zeigte eine höhere Erfolgsrate und weniger Pulpaexpositionen im Vergleich zur non-selektiven Entfernung, insbesondere bei Nachbe-

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