Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 12

zm115 Nr. 12, 16.06.2025, (1050) 72 | ZAHNMEDIZIN scher Versorgung. Beide Varianten können zu ästhetisch ansprechenden und funktionell hochwertigen Ergebnissen führen [Alqahtani, 2021]. Bei Vorliegen einer LKGF sind jedoch zusätzlich einige Besonderheiten in Betracht zu ziehen. Vorteil des kieferorthopädischen Lückenschlusses ist die Langlebigkeit des therapeutischen Ergebnisses und der Abschluss der Behandlung im frühen Jugendalter bei einer Patientengruppe, die in vielen Bereichen einen hohen therapeutischen Bedarf zeigt. Außerdem wird durch die frühe Mesialbewegung des Eckzahns in den unbezahnten Bereich eine normale gingivale und alveoläre Konfiguration erzeugt und der Knochen im Spaltbereich nach Kieferspaltosteoplastik erhalten. Andererseits wurde die Mesialisierung des Eckzahns als unabhängiger Prädiktor für einen SNA-Winkel kleiner 78° sowie für die Indikation zur Umstellungsosteomie nach Wachstumsabschluss identifiziert [Lee et al., 2014]. Lückenschluss und Lückenöffnung sind somit valide Alternativen; die individuelle Anatomie, die Ausprägung der maxillären Retrognathie, der Zahnstatus des Patienten sowie der Patientenwunsch sollten laut Leitlinie in die Entscheidung mit einfließen (EbE↔/↑). Prothetische Versorgung Auch nach Abschluss der chirurgischen und kieferorthopädischen Therapie besteht bei Patienten mit LKGF häufig eine komplexe Ausgangssituation für eine prothetische Versorgung im rekonstruierten Spaltbereich. Eine Lücke im Spaltbereich durch Nichtanlagen oder Zahnverlust sollte bei erwachsenen Patienten mit LKGF mittels festsitzender prothetischer Versorgung geschlossen werden (EbE ↑). Implantatprothetische Versorgungen im rekonstruierten Kieferspaltbereich haben eine gute Survivalrate (93 Prozent nach einer durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von 60,5 Monaten) und erzielen eine hohe Patientenzufriedenheit [Sales et al., 2019]. Die Implantation sollte vier bis sechs Monate nach einer eventuellen Knochentransplantation erfolgen (EbE↑). Ist bei erwachsenen Patienten mit LKGF eine implantatprothetische Versorgung nicht gewünscht oder möglich, sollten bevorzugt minimalinvasive einflügelige Adhäsivbrücken zum Lückenschluss verwendet werden (EK ↑). Einflügelige Adhäsivbrücken haben dabei im Vergleich zu zweiflügeligen Adhäsivbrücken eine signifikant höhere Überlebensrate und können schon im frühen Wechselgebiss verwendet werden, da hierbei die permanenten Zähne nicht oder nur minimal abgeschliffen werden müssen und aufgrund einer fehlenden Verblockung auch keine Wachstumshemmung verursacht wird. Sie zeigen zum Ersatz von nichtangelegten Schneidezähnen mit 98,5 Prozent eine sehr gute 10-Jahres-Überlebensrate in einem Kollektiv ohne LKGF [Kern et al., 2017]. Die herausnehmbare prothetische Versorgung scheint hingegen zu einer signifikant geringeren mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität zu führen [Papi et al., 2015]. Sie kann als Interimslösung vor Abschluss des Wachstums oder der chirurgischen Behandlung eingesetzt werden. Weitere Indikationen können sich bei ausgeprägten Weichgewebedefiziten, multiplen oronasalen Fisteln oder ausdrücklichem Patientenwunsch ergeben (EbE↔). Weitere beteiligte Fachdisziplinen Die Therapie von Patienten mit LKGF ist vom ersten Lebenstag an in hohem Maße interdisziplinär. Neben den bereits erwähnten Disziplinen sind Pädiatrie, Neonatologie und Anästhesiologie bei der primären stationären und perioperativen Versorgung sowie der Therapie von eventuellen Begleiterkrankungen führend. Zur Therapie von Störungen der Nahrungsaufnahme sollte den Eltern eine pränatale Beratung sowie postnatale Betreuung durch speziell geschultes Personal, beispielsweise aus den Hebammenwissenschaften (Still-/Laktationsberatung) angeboten werden (EbE↑). Die Fehlbildung beeinflusst neben den oberen Atemwegen außerdem zumeist das Mittelohr. Besonders bei Patienten mit den Gaumen betreffenden Fehlbildungen ist die physiologische Belüftung des Mittelohrs beeinträchtigt, wodurch es zu Paukenergüssen, chronischen Otitiden und einer Beeinträchtigung der Sprachentwicklung kommen kann. Die Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und insbesondere die Teilbereiche der Pädaudiologie und Phoniatrie sind daher im multidisziplinären Behandlungsteam unverzichtbar. Essenziell sind außerdem Diagnostik und Therapie durch Experten der Logopädie/Sprachtherapie, da die orofazialen Veränderungen Störungen der Sprechfunktion und teils sekundär des Spracherwerbs nach sich ziehen können. Ein regelmäßiges Screening auf psychosoziale Probleme und erhöhte psychische Belastung sollte im Bedarfsfall die Mitbetreuung und frühzeitige Interventionen durch einen klinischen Psychologen im Rahmen der multidisziplinären Behandlung ermöglichen. Fazit Die umfängliche Rehabilitation und Optimierung der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität von Patienten mit LKGF ist in allen Entwicklungsphasen auf zahnärztliche Expertise angewiesen. Anhand der Empfehlungen der neu erstellten Leitlinie sollen Therapiestandards auf Basis der aktuell vorhandenen Evidenz etabliert werden. Die in vielen Teilbereichen niedrige Qualität der Evidenz unterstreicht allerdings auch die Bedeutung einer einheitlichen, langfristigen Datenerhebung und den Bedarf an zukünftigen qualitativ hochwertigen klinischen Studien. Förderung: Die Erstellung der Leitlinie wurde mit Mitteln des Innovationsausschusses beim Gemeinsamen Bundesausschuss unter dem Förderkennzeichen 01VSF21008 gefördert. n Eine Kurzfassung dieser Leitlinie mit Fokus auf die humanmedizinischen Aspekte der Versorgung wurde vom Deutschen Ärzteblatt zur Veröffentlichung akzeptiert. ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden.

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