ZAHNMEDIZIN | 23 Semmann schloss mit der Erkenntnis, dass viele Formen menschlicher Kooperation auf egoistischem Kalkül beruhen, da sie dem Einzelnen langfristig nützen, dass aber die Reputation, soziale Normen und institutionelle Regelwerke diesen Eigennutz so lenken, dass Kooperation auch unter Nicht-Verwandten stabil bleibt. Für die Praxis bedeute das, dass in Teamstrukturen oder interdisziplinären Einrichtungen Anerkennung und Transparenz bewusst gefördert werden sollten, um Anreize zu schaffen, die die Zusammenarbeit stärken, selbst ohne familiäre Bindung. Im Zentrum des Vortrags „Grundlagen der Ästhetik“ von Prof. Dr. Stefan Wolfart (Aachen) stand die Erkenntnis, dass dentale Ästhetik stets individuell auf den Patienten zugeschnitten sein muss. Viele Patienten würden unter einer Kombination aus gestörter Funktion und unbefriedigender Ästhetik leiden. Er wies darauf hin, dass Perfektion nicht das alleinige Ziel sein dürfe. Kleine Imperfektionen könnten zu einem natürlichen Gesamteindruck beitragen, maßgeblich sei letztlich immer die Zufriedenheit des Patienten. Für ein systematisches Vorgehen empfahl Wolfart den Einsatz einer „Ästhetik-Checkliste“. Auf dieser Grundlage lasse sich eine individualisierte Behandlungsplanung und Versorgung entwickeln, die den Wünschen und Erwartungen des Patienten gerecht wird. Der Patient definiert, was er für ästhetisch hält Entscheidend für den Behandlungserfolg sei, zunächst die Wünsche der Patienten anzuhören. Welchen Charakter soll das Lächeln erhalten: eher natürlich, ausgeglichen, lebhaft oder „perfekt“? Eine gute Orientierung könne dabei ein bereits erstelltes Provisorium geben. Wichtig sei zudem die umfassende Kenntnis von Aspekten, die ein Lächeln harmonisch erscheinen lassen. So müsse etwa bei der Lachanalyse die Dominanz der OberkieferEinser beachtet werden, deren Breite ungefähr 75 bis 80 Prozent der Länge betragen sollte – bei gleichzeitiger Beachtung der anderen Zahn-zu-ZahnProportionen. Die Zahnlängen sollten ansprechend und passend zum Patienten gestaltet werden: Unter locker geöffneten Lippen sollten die Zähne je nach Lippenform, Geschlecht und Alter nur teilweise sichtbar sein – im Schnitt zwischen null bis vier Millimetern. Volle Lippen lassen laut Wolfart tendenziell mehr Zahnfläche erkennen, eine längere Oberlippe weniger. Hinzu komme, dass Männer üblicherweise eine geringere Zahnexposition zeigen als Frauen, ebenso wie ältere Menschen. Neben vielen weiteren Parametern verwies Wolfart auf „Rufenachts Hypothese“: Ein harmonisches Gesicht zeichne sich dadurch aus, dass die gedachte Linie vom äußeren Augenlid zum ipsilateralen Mundwinkel bei einem Lachen parallel zur Achse des Eckzahns verläuft. Wolfart erklärte, dass es wichtig sei, die Stumpffarbe zu erfassen, da diese dem Techniker hilft, die Restaurationen farblich realitätsnah abzustimmen. Der Rot-Weiß-Übergang erweise sich häufig als besonders anspruchsvoll. Bei fehlender biologischer Breite könnten chirurgische Kronenverlängerungen oder kieferorthopädische Extrusionen diskutiert werden. Die bereits erwähnte „Ästhetik-Checkliste“ fasse alle diese Kriterien systematisch zusammen und helfe, den Behandlungsbedarf zu erfassen sowie eine sinnhafte Behandlungsabfolge zu planen. So könnten von Anfang an Fehler vermieden und ein ästhetischfunktionales Gesamtergebnis erzielt werden. Wolfarts Fazit: Das Erfassen individueller dentaler Ästhetik bedeute vor allem Zuhören. Der Patient definiere für den Behandler, in welche Richtung sich sein Lächeln entwickeln soll. Wenn man ihm diese Stimme gibt und einem klar strukturierten Leitfaden folgt, ließen sich funktionell und ästhetisch Ergebnisse erzielen, die den Erwartungen und Wünschen des Patienten entsprechen. So schön kann Komposit sein Prof. Dr. Diana Wolff (Heidelberg) stellte in ihrem Vortrag „Ästhetik mit Kompositen“ dar, dass direkte Kompositversorgungen ästhetisch und funktionell durchaus konkurrenzfähig zu Keramik sein können. Anhand zahlreicher Fallbeispiele zeigte sie, wie Zahnformkorrekturen, Lückenschlüsse und Schneidekantenverlängerungen ansprechende Ergebnisse liefern können, sofern man den Verlust des ursprünglichen Glanzes und die Neigung zu extrinsischen Verfärbungen in Kauf nimmt. Letzteres ergebe sich durch zm115 Nr. 13, 01.07.2025, (1097) Prof. Dr. Stefan Wolfart fasste die Grundlagen der Ästhetik zusammen und stellte eine „Ästhetik-Checkliste“ vor. Foto: zm-nl FUN-FACT Bei korrekter Durchführung könne man an einen Quadratmillimeter Adhäsivfläche fünf bis sechs Kilogramm Gewicht aufhängen, erklärte Prof. Dr. Diana Wolff in ihrem Vortrag. Bei zehn mal zehn Zentimetern Fläche seien es sogar 55 Tonnen.
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