26 | GESELLSCHAFT SCHLEICHWERBUNG UND FALSCHINFORMATIONEN IN SOZIALEN MEDIEN 5 Geheimtipps gegen Krebs Arzt- oder Medfluencer fluten TikTok, YouTube und Instagram mit Tipps für alle denkbaren gesundheitlichen Probleme. Nur wenige von ihnen haben eine medizinische Qualifikation, andere sind Medizinstudierende und wieder andere sind fachfremd. Es mangelt jedoch nicht nur an Expertise. In ihren Beiträgen vermischen sie Informationen häufig mit Werbeaussagen oder verschwörungsideologischen Erzählungen. Längst gibt es die Beobachtung, dass eine nennenswerte Anzahl von Krebspatienten hanebüchene Alternativbehandlungen der konventionellen Behandlung vorzieht. Ein Beispiel: Die Münchnerin Alina Walbrun betreibt neben ihrem Medizinstudium einen InstagramKanal mit 310.000 Followern und trägt selbstbewusst den Reichweite und damit Umsatz steigernden Beinamen „Doc Alina“ in ihrem Profil. Die junge Frau wirbt für „cleane Produkte“ des drittgrößten Drogeriekonzerns der Welt. Mal erklärt „Doc Alina” ihrem Gefolge, warum Bitterstofftropfen vor den Mahlzeiten den Vagusnerv stimulieren sollen, wodurch sich angeblich der Speichelfluss, die Magensäureproduktion, die Gallensekretion und die Peristaltik im Dünndarm verbessern. Ein anderes Mal erklärt sie, warum auch NichtDiabetiker von Blutzucker-Messgeräten profitieren, die sie dauerhaft als Sensor am Arm tragen. David Reckers, zugelassener Allgemeinmediziner und Betreiber des Kanals „Der Hausarzt“, bietet ebenfalls professionell produzierte Videos zu Gesundheitsthemen im Netz an. Ein Video, in dem er über die seltene Autoimmunerkrankung primäre biliäre Cholangitis (PBC) spricht, erregte die Aufmerksamkeit des „Magazin Royale“ vom ZDF. Das in einem Krankenhaus gedrehte Video wurde als bezahlte Partnerschaft mit Ipsen Pharma gekennzeichnet. Kurz gesagt: Reckers bereichert sich im berufsrechtlichen Graubereich, um für Ipsen den Markt für ein neues Medikament zu bereiten. Seit Beginn der 2020er-Jahre ist das sogenannte „Disease-Awareness“, also Werbung zur Schaffung eines Krankheitsbewusstseins durch Influencer, ein etabliertes Marketingtool von Pharmaunternehmen (zm berichtete in „Können diese Augen lügen?“, zm 20/2022). Andere Medfluencer wiederum nutzen ihre Reichweite, um Werbung für zweifelhafte Produkte zu machen oder krude „Wahrheiten” zu verbreiten. Das reicht von Nahrungsergänzungsmitteln zur Zellerneuerung und Geruchstraining bis zur Behauptung, nicht UVStrahlung, sondern Sonnencreme sei schädlich. Besonders gefährlich wird es immer dann, wenn Patienten geraten wird, Medikamente abzusetzen oder Arztbesuche zu unterlassen, weil eine neue alternative Behandlungsmethode eine schnelle Wunderheilung verspricht. Das wurde auf der der größten Krebskonferenz der Welt Anfang Juni deutlich. Krude „Wahrheiten” verunsichern Krebspatienten Auf der Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology (ASCO) in Chicago zeigten sich die Verantwortlichen besorgt, dass sie „die Schlacht um die Kommunikation verlieren“. Ärztinnen und Ärzte erklärten, dass zunehmend Krebspatienten sterben würden, weil sie vermeintlichen Heilmethoden wie intermittierendem Fasten, ätherischen Ölen, Sauerstoffbehandlungen und mediterraner Ernährung den Vorzug geben und konventionelle Methoden ablehnen. Vergleichbare Trends seien auch in Großbritannien zu beobachten, warnte Prof. Sir Stephen Powis, Nationaler medizinischer Direktor des National Health Service (NHS). Er berichtet vor einem „alarmierend hohen Maß an Fehlinformationen“, das Menschenleben gefährden könne. Nach geltendem deutschen Recht ist es zugelassenen Ärztinnen und Ärzten zm115 Nr. 13, 01.07.2025, (1100) DIE GESUNDHEITSKOMPETENZ IN DEUTSCHLAND SINKT Die im April 2025 herausgegebene, überarbeitete Fassung der Studie „Gesundheitskompetenz in Deutschland 2024“ zeigt eine alarmierende Entwicklung: Mehr als drei Viertel der Bevölkerung (75,8 Prozent) weisen demnach eine geringe Gesundheitskompetenz auf. Rund 60 von 100 Deutschen tun sich schwer, Informationen richtig einzuschätzen. Fast jede und jeder Zweite ist sich unsicher, wie man Werbung von redaktionellen Inhalten unterscheidet. Im Vergleich zu früheren Studien ist das eine deutliche Verschlechterung: Im Jahr 2014 hatten noch 54 von 100 Menschen eine niedrige Gesundheitskompetenz, 2020 waren es schon 64 von 100 Menschen. Das Projekt „Faktencheck Gesundheitswerbung“ der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen will Abhilfe schaffen. Es klärt über irreführende oder unzulässige Gesundheits- und Produktinformationen sowie Werbung im Internet auf. Die Verbraucherschützer verfolgen zudem unlauteres Wettbewerbsverhalten im Gesundheitsbereich und mahnen Anbieter, Hersteller und Influencer bei rechtlichen Verstößen ab. Verbraucher können dazu fragwürdige, schlechte oder gefährliche Gesundheitsinformationen über ein Kontaktformular melden, wenn sie vermeintlich kritische Beiträge in den Sozialen Medien gefunden haben. Fotos: Graphic Land – stock.adobe.com
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