72 | PRAXIS INTERVIEW MIT DER ZAHNÄRZTIN SADRA NADIM ÜBER IHREN BERUFSANERKENNUNGSPROZESS „Es war, als müssten wir in wenigen Monaten ein fünfjähriges Studium wiederholen“ Direkt nach der Uni in Syrien kam Sadra Nadim vor drei Jahren nach Deutschland. Innerhalb kürzester Zeit durchlief sie den Berufsanerkennungsprozess, erhielt ihre Approbation und arbeitet jetzt als festes Teammitglied in einer Praxis in Rheinland-Pfalz. Ein Musterbeispiel für gelungene Integration? Hier verrät die junge Zahnärztin, wie viel Kraft das gekostet hat. Frau Nadim, nach ihrem Zahnmedizinstudium in Syrien sind Sie 2022 mit einem Visum nach Deutschland gekommen. Wie haben Sie die Ankunft hier erlebt? Sadra Nadim: Als ich 2022 nach Deutschland kam, war alles neu für mich. Besonders prägend war die Tatsache, dass ich aus einer Stadt kam, die vom Krieg betroffen war. Dort gab es kaum berufliche Perspektiven und die Zukunft war sehr ungewiss. Der Abschied von meiner Familie war das Schwierigste – vor allem von meiner jüngsten Schwester, die damals erst neun Jahre alt war und eine sehr enge Bindung zu mir hatte. Meine Familie hat mich jedoch in all meinen Plänen unterstützt und mir sehr geholfen, vor allem finanziell. Wir mussten damals ein Sperrkonto eröffnen, das genug Geld für ein Jahr enthielt, damit ich meinen Lebensunterhalt in der Anfangszeit auch ohne Arbeit selbst decken konnte. Meine Gefühle bei der Ankunft in Deutschland waren dann sehr gemischt: einerseits Angst vor dem Unbekannten, andererseits Vorfreude auf die Zukunft und die neuen Möglichkeiten. Zum Glück bin ich nicht allein gekommen – ich war mit Freunden unterwegs, mit denen ich schon während des Studiums und in unserer Nachbarschaft eng verbunden war. Das hat nicht nur mir, sondern auch meiner Familie ein Stück Sicherheit gegeben. Sie sind gut vorbereitet nach Deutschland gekommen, Ihr Zahnmedizinstudium in Syrien war abgeschlossen und Sie haben noch dort begonnen, Deutsch zu lernen. Gemeinsam mit zwei Freundinnen haben sie sogar Unterricht bei einem Privatlehrer genommen. Und dennoch ist der Start in einem fremden Land nicht leicht, oder? Die größte Schwierigkeit war zunächst die Sprache im Alltag. Obwohl ich schon Grundkenntnisse hatte, war es etwas ganz anderes, sich im echten Leben zu verständigen – vor allem, weil die Alltagssprache sich stark von der Sprache im Unterricht unterscheidet. Auch das deutsche System war für mich völlig neu, insbesondere die Bürokratie und die Vielzahl an Regeln und Abläufen. Dinge wie Versicherungen zum Beispiel – das war für uns völlig ungewohnt, weil es so etwas in Syrien in dieser Form nicht gibt. Man kommt in ein fremdes Land, in dem wirklich alles anders ist: Kultur, Sprache, Lebensweise. Selbst einfache Dinge wie Einkaufen oder Essen gehen waren anfangs ungewohnt – vieles war neu, fremd oder unbekannt. Jede kleine Aufgabe wurde zu einer neuen Entdeckung und einem Lernprozess für mich. Hinzu kamen emotionale Herausforderungen: das Heimweh, die Entfernung zur Familie und das Gefühl, alles alleine bewältigen zu müssen. Aber ich habe gelernt, Schritt für Schritt mit den Herausforderungen umzugehen und daran zu wachsen. Was war die größte Herausforderung? Die deutsche Sprache (lacht) – insbesondere, als es dann um medizinisches Fachvokabular ging. Die Fachsprache ist sehr umfangreich, präzise und verlangt ein hohes Maß an Genauigkeit im Ausdruck. Am Anfang fiel es mir schwer, schnelle Gespräche zu verstehen – besonders, wenn Muttersprachler mit Dialekt oder in hohem Tempo gesprochen haben. Ich hatte oft Angst, Fehler zu machen, vor allem bei medizinischen Begriffen, da solche Fehler schwerwiegende Folgen haben können. Hinzu kam, dass die Fachsprachprüfung weit mehr erfordert als nur das Auswendiglernen von Vokabeln. Man muss lernen, einen Arztbrief zu schreiben, ein Patientengespräch professionell zu führen und medizinische Sachverhalte korrekt zu erklären – sei es gegenüber Kolleginnen und Kollegen oder gegenüber Patientinnen und Patienten. Durch viel Übung, eine gezielte Vorbereitung und die Unterstützung meiner Lehrerinnen und Lehrer konnte ich diese Herausforderungen Schritt für Schritt bewältigen und ein neues sprachliches Niveau erreichen. Sadra Nadim, 27 Jahre alt, wuchs in Syrien auf und absolvierte dort ihr Zahnmedizinstudium. Ihr Vater ist Rechtsanwalt, die Mutter Hausfrau. Sie hat drei jüngere Schwestern: Eine ist Ingenieurin, eine Apothekerin, die Jüngste geht noch zur Schule. Foto: privat zm115 Nr. 14, 16.07.2025, (1238)
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