zm115 Nr. 17, 01.09.2025, (1388) 34 | TITEL Scores ein engmaschiges Recall-Intervall vor. Die Behandlerin übernimmt dies mechanisch – obwohl klinisch keine Risikoanzeichen bestehen. 2. Omission Bias – Verzerrung durch Unterlassen: Menschen bewerten Fehler durch Unterlassung oft milder als solche, die durch aktives Handeln entstehen. In der Zahnmedizin zeigt sich das, wenn eine Zahnärztin einer KIEmpfehlung nicht folgt, obwohl sie valide ist – aus Angst, im Fall eines Fehlers persönlich haftbar zu sein. Beispiel: Die KI erkennt in einem Bissflügelröntgen eine Läsion mit hoher Wahrscheinlichkeit, doch die Behandlerin ignoriert den Hinweis und wartet ab – um „auf Nummer sicher“ zu gehen. 3. Commission Bias – Verzerrung durch Überhandeln: Hier dominiert der Impuls, aktiv einzugreifen – auch ohne Notwendigkeit. Beispiel: Die KI markiert eine harmlose Schmelzveränderung – ohne Behandlungsempfehlung. Der Zahnarzt entscheidet sich zur Füllung – obwohl keine echte Indikation besteht. 4. Skill Degradation – Verlernen von Fähigkeiten durch passive Nutzung: Die Verwendung von KI-Diagnostik kann zu reduzierter Aufmerksamkeit führen, wenn der Behandler lernt, sich auf das System zu verlassen und zunehmend wenig genauer hinschaut. Der Zahnarzt erkennt irgendwann nur das, was die KI hervorhebt – weil die Fähigkeit, andere Dinge zu detektieren, bei ihm verloren gegangen ist. Warum passiert uns das? Es gibt verschiedene Gründe für einen Automatisierungs-Bias: Kognitive Entlastung: KI-Systeme versprechen Zeitgewinn und mentale Entlastung. Doch gerade unter Zeitdruck oder in Routinen steigt die Gefahr, dass die Systemausgabe unhinterfragt übernommen wird. Wahrnehmung von Objektivität: Maschinen gelten als neutral – ohne Emotionen, Vorurteile oder Interessen. Diese Vorstellung führt dazu, dass maschinelle Vorschläge als „objektiver“ eingeschätzt werden als das eigene Urteil. Autoritätsillusion: Bekannte Hersteller, Zertifizierungen oder Publikationen suggerieren Professionalität und Richtigkeit. So wird der Algorithmus oft zur scheinbar unanfechtbaren Instanz. So wappnen wir uns Es gibt eine Reihe von Strategien, die uns zur Verfügung stehen, um Automatisierungs-Bias zu mindern oder vermeiden: Duale Prüfung (Double Reading): Jede KI-Ausgabe sollte mit dem eigenen klinischen Urteil abgeglichen werden – unabhängig davon, wie plausibel sie erscheint. Einige KISysteme zwingen bei bestimmten Befunden den Untersucher zur Bestätigung oder Ablehnung. Schulung und Sensibilisierung: Zahnärztinnen und Zahnärzte sollten lernen, die Systemgrenzen zu erkennen. Fortbildungen müssen nicht nur die Technik, sondern auch kognitive Fallstricke vermitteln. Die Schulung von klinischem Personal (also auch ZFA) im Umgang mit KI wird im EU-ACT als zwingend notwendig vorgesehen. Explainable AI (XAI): KI-Systeme, die Entscheidungswege, Unsicherheiten und Alternativen offenlegen, helfen bei der kritischen Bewertung. Heatmaps, Score-Interpretationen und Transparenzmechanismen sind erste Schritte in diese Richtung. Bei Unsicherheiten könnte das KI-System den Nutzer befragen und auf die Unsicherheit aktiv hinweisen. Fallback-Pläne und Redundanz: Praxisprozesse dürfen nicht vollständig von KI abhängig sein. Es braucht klare Protokolle für Systemausfälle, Widersprüche oder Unsicherheiten. Teamkommunikation: Fallbesprechungen im Team helfen dabei, individuelle Verzerrungen zu erkennen. Eine kollegiale Rückmeldung kann eine wirksame Barriere gegen einen Bias bilden. Und die Integration von KI in Studium und Ausbildung kann eine kritische Auseinandersetzung mit dieser neuen Technologie in einem kommunikativen Umfeld fördern. Ein Werkzeug, kein Orakel KI bietet der Zahnmedizin enorme Chancen, aber sie bringt auch neue Herausforderungen mit sich. Der Automatisierungs-Bias ist nicht das Versagen der Maschine, sondern das Versäumnis des Menschen, kritisch zu bleiben. KI-Systeme sollten daher nicht als Autoritäten, sondern als Assistenzsysteme verstanden werden. Wer ihre Empfehlungen bewusst einordnet und mit klinischer Expertise verknüpft, kann ihre Vorteile sicher nutzen – zum Wohl der Patientinnen und Patienten. Dr. Fabian Langenbach Deutsche Gesellschaft für Implantologie im Zahn-, Mund- und Kieferbereich e.V. Chief Strategy Officer Karlstr. 60, 80333 München Foto: DGI e.V. Prof. Dr. Tabea Flügge Charité Universitätsmedizin Berlin Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Campus Benjamin Franklin Hindenburgdamm 30, 12203 Berlin Foto: www.eventfotosberlin.de Univ.-Prof. Dr. Falk Schwendicke, MDPH Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltung, Parodontologie und digitale Zahnmedizin LMU Klinikum Goethestraße 70, 80336 München Foto: Peitz/Charité
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