Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 18

zm115 Nr. 18, 16.09.2025, (1528) 70 | ZAHNMEDIZIN ner [Polder et al., 2004]. Am häufigsten betroffen sind der zweite Prämolar im Unterkiefer sowie der laterale Schneidezahn im Oberkiefer. Die einseitige Nichtanlage tritt häufiger auf als die beidseitige, wobei bilaterale Nichtanlagen des lateralen Schneidezahns im Oberkiefer häufiger sind als einseitige [Polder et al., 2004; Finnema et al., 2005]. Das Fehlen eines oder zweier bleibender Zähne macht mit 83 Prozent die größte Patientengruppe aus, die in der Regel weniger komplexe Therapien benötigen [Lapatki, 2022]. Neben der klinischen Untersuchung ist die molekulargenetische Diagnostik zur Abklärung von Syndromen und Genvarianten ein wichtiger Bestandteil der Diagnostik [Castilho et al., 2023]. Sie ermöglicht nicht nur die Identifikation zugrunde liegender genetischer Mutationen, sondern unterstützt auch die Differenzierung zwischen syndromalen und nonsyndromalen Formen. Diese Informationen sind entscheidend für die interdisziplinäre Therapieplanung, da sie Prognosen zur weiteren Zahnentwicklung und möglichen systemischen Begleiterkrankungen beeinflussen können. Zudem erleichtert die genetische Diagnostik die Beratung der Patienten und deren Familien hinsichtlich Prognose und Therapieoptionen. Häufig begleiten die Fehlbildung eine Hypomineralisation des Zahnschmelzes und verschiedene Stellungsanomalien [Porumb et al., 2016]. Bei syndromalen Patienten, beispielsweise mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, treten gehäuft Zahnfehlstellungen, Transpositionen, Rotation, Mikrodontien und Taurodontien auf [Marzouk et al., 2021]. Kinder mit systemischen Erkrankungen oder angeborenen Fehlbildungen zeigen eine deutlich höhere Prävalenz von Oligodontie als gesunde Kinder [Nadolinski et al., 2023]. Patienten mit komplexen Syndromen oder kognitiven Einschränkungen benötigen häufig eine interdisziplinäre Betreuung und angepasste Therapieansätze, da herkömmliche Behandlungswege oft eingeschränkt sind [Aronovich et al., 2022; Ouyang et al., 2024]. Zudem erfordern Patienten mit kognitiven Einschränkungen aufgrund mangelnder Compliance oft eine Behandlung unter Narkose [Tent et al., 2018; Ouyang et al., 2024]. Therapeutisch stehen nach Abschluss des Wachstums verschiedene Optionen zur Verfügung: der möglichst lange Erhalt persistierender Milchzähne, konventioneller Zahnersatz, implantatgetragene prothetische Versorgungen sowie kieferorthopädischer Lückenschluss [Castilho et al., 2023]. Die Anzahl der fehlenden Zähne, das Knochenangebot sowie die individuellen Wünsche des Patienten bestimmen die Komplexität der Therapie und den Einsatz augmentativer Verfahren [Castilho et al., 2023; Lauwers et al., 2024]. Implantatgetragene Versorgungen zeigen bei Erwachsenen Überlebensraten von über 95 Prozent und führen zu deutlich gesteigerter Lebensqualität und Patientenzufriedenheit [Kramer et al., 2007; Pjetursson und Heimisdottir, 2018; French et al., 2021]. Patienten mit syndromaler Oligodontie weisen geringere Implantatüberlebensraten auf als Patienten ohne Syndrom [Aydinbelge et al., 2013]. Augmentationen sollten möglichst minimal gehalten werden, wobei nur wenige Patienten zehn oder mehr Implantate benötigen [Lauwers et al., 2024]. Bei komplexen Fällen wird eine computergestützte Implantatplanung empfohlen, um eine präzise Positionierung und die Schonung anatomischer Strukturen sicherzustellen [Kramer et al., 2007]. In Deutschland erfolgt die Kostenübernahme für Implantate bei multiplen Nichtanlagen nur im Rahmen einer Ausnahmeindikation gemäß §28 SGB V, insbesondere bei generalisierter genetischer Nichtanlage [DGMKG, 2016]. Die endgültige Entscheidung erfolgt in einem Gutachterverfahren der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung. Die Behandlung multipler Zahnagenesen erfordert somit eine frühzeitige, individuelle und interdisziplinäre Planung. Die Behandlung mit implantatgetragenen Versorgungen hat sich als langfristig erfolgreich und lebensqualitätssteigernd etabliert, bedarf aber entsprechender diagnostischer und therapeutischer Expertise. Die Kostenerstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung stellt weiterhin eine Herausforderung dar und erfordert Verbesserungen, um eine optimale Versorgung der betroffenen Patienten sicherzustellen. n FAZIT FÜR DIE PRAXIS n An Oligodontie leiden vor allem Frauen; am häufigsten betroffen sind der zweite Prämolar im Unterkiefer und der laterale Schneidezahn im Oberkiefer. n Bei Verdacht auf genetische Nichtanlagen sollte eine molekulargenetische Diagnostik erfolgen. n Nach Wachstumsabschluss stehen verschiedene Therapieoptionen zur Verfügung, abhängig von Defektgröße und Patientenwunsch. n Implantate verbessern die Lebensqualität signifikant und erfordern minimalinvasive Augmentation sowie eine digitale Planung bei komplexen Fällen. n Die Kostenübernahme für Implantate ist in Deutschland selten und erfordert ein Gutachterverfahren, daher ist eine interdisziplinäre Planung wichtig. Prof. Dr. Horst Popp Praxis für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie Dr. Popp, Dr. Gürtler & Kollegen Mainzerhofplatz 14 – 99084 Erfurt info@mkg-erfurt.de Foto: MKG Erfurt

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=