38 | TITEL Auch in diesem Fall berichtete der Patient explizit von der wiederholten Verwendung „eines Luftpüsters“ im Rahmen der frustranen Extraktion. Diese Angabe korreliert mit der radiologischen Ausdehnung des Emphysems und unterstützt die Hypothese einer iatrogenen Luftinsufflation. Ein weiterer, möglicherweise begünstigender Faktor war das Belassen eines Wurzelrests in Regio 35. In der zahnärztlichen Praxis sind Radices relictae kein seltenes Phänomen, insbesondere im Unterkieferseitenzahnbereich [Nayyar et al., 2015]. Studien berichten von Komplikationsraten bis zu zehn Prozent bei chirurgisch komplexen Extraktionen, wobei schwierig zu fassende Wurzeln, starke Divergenzen oder eine schlechte Übersicht die Extraktion erschweren [Yamada et al., 2022; Dudde et al., 2024]. Während asymptomatische Wurzelreste unter Umständen belassen werden können, gilt dies nicht im Kontext entzündlicher oder traumatischer Veränderungen. In diesem Fall stellt der verbliebene Wurzelrest möglicherweise eine Eintrittspforte für die eingebrachte Luft dar, die sich über die apikalen Strukturen hinaus in tiefere Weichteilschichten ausbreiten konnte. Diagnostik und Differenzialdiagnosen Das klinische Bild eines zervikothorakalen Emphysems ist häufig durch subkutanes Krepitus, Hals- und Brustschmerzen sowie Dyspnoe oder Druckgefühl geprägt. Die Differenzialdiagnose umfasst unter anderem Pneumothorax, Ösophagusruptur (BoerhaaveSyndrom), Trachealläsionen, aber auch Infektionen wie nekrotisierende Fasziitiden [Goodnight et al., 1994; Iteen et al., 2023]. In solchen Fällen ist eine schnelle, bildgebungsbasierte Abklärung mittels Kontrastmittel-gestützter CT essenziell. Der Fall zeigt exemplarisch, wie mithilfe der Schnittbildgebung und laborchemischen Diagnostik rasch eine klare Diagnose gestellt und eine lebensbedrohliche Genese ausgeschlossen werden konnte. Therapieoptionen Die Behandlung eines unkomplizierten Mediastinalemphysems erfolgt in der Regel konservativ, sofern keine Hinweise auf Infektion, Atemnot oder eine progrediente Ausbreitung bestehen [Spille et al., 2022]. Bei stabilem Allgemeinzustand ist eine stationäre Überwachung, eine symptomatische Analgesie und gegebenenfalls eine antibiotische Abschirmung zur Vermeidung sekundärer Infekte indiziert [Iteen et al., 2023]. In dentogen verursachten Fällen, wie dem hier beschriebenen, erscheint der Einsatz von Breitbandantibiotika wie Ceftriaxon aufgrund der potenziellen Keimspektren (Anaerobier, Streptokokken) gerechtfertigt. Der im weiteren Verlauf auf orale Antibiose umgestellte Therapieansatz ist konsistent mit den aktuellen Empfehlungen und erwies sich im vorliegenden Fall als wirksam [Iteen et al., 2023]. Relevanz für die zahnärztliche Praxis Der geschilderte Fall unterstreicht die Notwendigkeit eines verantwortungsvollen Umgangs mit Druckluftinstrumenten – insbesondere bei chirurgischen Eingriffen im Seitenzahnbereich des Unterkiefers. Wo immer möglich sollte auf trockene OP-Felder durch Absaugung und Tamponade gesetzt und auf Luftapplikationen im Wundbereich möglichst verzichtet werden. Auch eine präzise radiologische Nachkontrolle bei frustranen Extraktionen ist essenziell, um verbliebene Wurzelreste frühzeitig zu erkennen und gezm115 Nr. 19, 01.10.2025, (1588) ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. Dr. med. dent. Anna Aydin Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie / Plastische Operationen, Bundeswehrkrankenhaus Hamburg-Wandsbek Lesserstr. 180, 22049 Hamburg Foto: privat Dr. med. Florian Dudde Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie / Plastische Operationen, Bundeswehrkrankenhaus Hamburg-Wandsbek Lesserstr. 180, 22049 Hamburg Foto: Picture People Oliver Schuck Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie / Plastische Operationen, Bundeswehrkrankenhaus Hamburg-Wandsbek Lesserstr. 180, 22049 Hamburg Foto: Picture People Stephanie Roj Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie / Plastische Operationen, Bundeswehrkrankenhaus Hamburg-Wandsbek Lesserstr. 180, 22049 Hamburg Foto: Picture People Dr. med. Dr. med. dent. Manfred Giese Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie / Plastische Operationen, Bundeswehrkrankenhaus Hamburg-Wandsbek Lesserstr. 180, 22049 Hamburg Foto: Bundeswehrkrankenhaus Hamburg
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=