GESELLSCHAFT | 33 Nicht absehen konnten wir, dass viele Betroffene keine festen Termine einhalten können oder wollen. Deshalb kamen nicht „Busladungen“ von Menschen, sondern eher Einzelne, spontane Fälle und einige geplante, vorselektierte Patientinnen und Patienten durch unsere Partnerorganisationen. Insgesamt waren es damal elf Personen am Aktionstag. Diese sowie 13 weitere Patienten haben wir – insbesondere unsere Zahnärztin Jessica Wickert – innerhalb des letzten Jahres weiter versorgt, beispielsweise mit Wurzelkanalfüllungen oder herausnehmbarem Zahnersatz. Heute sind 15 Patientinnen und Patienten fest eingeplant. Herausforderungen beim ersten Mal waren vor allem No-Shows oder kurzfristige Absagen und zwei alkoholisierte Personen, bei denen wir chirurgisch arbeiten mussten – da haben wir dann aus Sicherheitsgründen nur das Nötigste gemacht. Was wir gelernt haben: Eine realistische Erwartungshaltung, die enge Zusammenarbeit mit Sozialdiensten und schlanke, strukturierte Abläufe sind sinnvoll. Wie organisieren Sie den Ablauf und die Kapazitäten? Wir arbeiten hybrid: Es gibt vorab terminierte Patientinnen und Patienten, gleichzeitig sind spontane Walk-ins möglich. Die Organisation übernimmt weitgehend die Karuna (Vorselektion, Transport, Begleitung), wodurch die Terminwahrnehmung deutlich besser wird. Innerhalb der Praxis arbeiten wir mit einem klaren Triage-System (zum Beispiel einer farblichen Markierung bei Traumafällen), differenzierten Anamnesebögen und mehreren Behandlungszimmern, um den Durchlauf zu optimieren. Welche Leistungen bieten Sie am Aktionstag an? Wir machen überwiegend akute Schmerzbehandlungen, Extraktionen, Trepanationen, Zahnsteinentfernung und kleine Reinigungen (keine umfassende Prophylaxebehandlung), Füllungen (falls möglich, oft Folgebehandlungen) und häufig bereits Abdrücke für Interimsersatz. Wir konzentrieren uns an diesem Tag also primär auf akute Beschwerden. Vollständige Sanierungen sind selten an einem Tag möglich — die meisten Patientinnen und Patienten benötigen Folgebehandlungen. Wir bieten Folge-Termine an und nutzen unser eigenes zahntechnisches Labor für Versorgungen, um Kosten zu reduzieren und Abläufe zu beschleunigen. Welche hygienischen und sicherheitsrelevanten Maßnahmen haben Sie im Vorfeld getroffen? Wie gehen Sie mit schwierigen Personen um? Grundsätzlich gilt: Jeder Patient kann infektiös sein. Deshalb arbeiten wir nach den gleichen strengen Hygienestandards wie bei regulären Patientinnen und Patienten: Mundschutz, Schutzbrille, Einmalhandschuhe, standardisierte Sterilisationsabläufe. Zudem haben wir die Möglichkeit, auf andere Zimmer auszuweichen, ohne den Druck zu haben, den Raum schnell für die nächste Behandlung vorzubereiten. Doppelhandschuhe oder „ExtraSicherheitsrituale“ haben wir nicht, stattdessen setzen wir auf saubere, ruhige Arbeitsabläufe und eine entspannte Behandlerhaltung, die Berührungsängste im Team abbaut. Bei akut intoxikierten Patientinnen und Patienten behandeln wir restriktiv und zielgerichtet. Wir konzentrieren uns auf dringende, kurz durchführbare Maßnahmen. Umfangreiche oder elektive Eingriffe werden verschoben. Entscheidend ist die enge Kooperation mit den begleitenden Streetworkern: die Vorselektion, die Begleitung während der Behandlung, Dolmetscher und ein vorab organisierter Rücktransport reduzieren die Risiken erheblich. Welche Rolle übernehmen Karuna und die Berliner Obdachlosenhilfe? Die Organisationen unterstützen uns durch die Vorselektion der Patientinnen und Patienten. Streetworker begleiten die Personen, sind Ansprechpartner für beide Seiten, organisieren den Transport zur Praxis, kümmern sich um die Nachsorge-Koordination und dolmetschen teilweise. Die Partner sind sehr protektiv gegenüber ihren Klientinnen und Klienten, übernehmen Verantwortung für die Sicherheit und die Auswahl — das schafft Vertrauen auf beiden Seiten, schützt aber auch die Praxis und das Personal. Wie viele Praxen haben noch am Dental Street Day teilgenommen? Dieses Jahr konnten wir drei weitere Berliner Praxen überzeugen mitzumachen: Dr. Steffi Ladewig (Berlin-Tiergarten), Dental21 (Berlin-Friedrichshain) und die Praxis Michael Kiderlen (Berlin-Tegel). Praktisch zeigt sich nämlich ein logistisches Grundproblem: Die Patientinnen und Patienten, die wir behandeln, kommen überwiegend aus dem unmittelbaren Umfeld. Längere Transportwege funktionieren bei wohnungslosen Personen in der Regel nicht beziehungsweise erhöhen die Hemmschwelle für die Behandlung. Deshalb ist es unsere Vision, mittelfristig ein Netz von rund 30 Praxen in ganz Berlin zu etablieren, damit überall eine niedrigschwellige, würdevolle Versorgung in Praxisräumen angeboten werden kann. Als wir andere Praxen zm115 Nr. 20, 16.10.2025, (1679) Mischa Ommid Steude, M.Sc. (DIE PRAXIS, Berlin) hat den Dental Street Day im vergangenen Jahr ins Leben gerufen. Gerne unterstützt er Kolleginnen und Kollegen, die mitmachen wollen (steude@ in-die-praxis.com). Foto: privat „Als Zahnärztinnen und Zahnärzte haben wir eine besondere Verantwortung: Wir sind Mediziner.“ Mischa Omnid Steude
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