34 | GESELLSCHAFT zm115 Nr. 20, 16.10.2025, (1704) „Der Aktionstag hat uns daran erinnert, warum wir Zahnmedizin machen!“ Frau Dr. Ladewig, was hat Sie persönlich motiviert, dieses Jahr zum ersten Mal am Dental Street Day teilzunehmen? Dr. Steffi Ladewig: Ich habe mich dafür entschieden, weil wir über die Ressourcen, die fachliche Kompetenz und ausreichend Manpower verfügen. Diese Chancen ungenutzt zu lassen – das wäre verschenkte Lebenskraft. In unserem Beruf geht es schließlich auch darum, das, was wir haben, auf selbstlose Weise einzusetzen. Wie haben Sie sich und Ihr Team auf den Aktionstag vorbereitet und diesen in Ihren Praxisalltag integriert? Zunächst haben wir das Team sensibilisiert, über die Zielgruppe und den Ablauf gesprochen und den Mitarbeitenden ein sicheres Gefühl vermittelt. Wir haben organisatorisch Freiräume geschaffen und die Patientinnen und Patienten persönlich empfangen, sie in den Wartebereich begleitet und dann ins Behandlungszimmer gebracht. Parallel ging die reguläre Praxisarbeit weiter – wir sind fünf Ärztinnen und Ärzte, die normale Behandlung lief also gleichzeitig. Wie hat Ihr Praxisteam auf die Teilnahme reagiert und welches Feedback haben Sie nach dem Tag erhalten? Das Feedback des Teams war durchweg positiv. Vorab hatten wir ausführlich über mögliche Ängste und Unsicherheiten gesprochen, zum Beispiel im Hinblick auf Alkohol- oder Drogenbedingte Situationen bei den Patientinnen und Patienten. Wir haben den Ablauf, immer zwei Personen zusammen in einem Behandlungszimmer arbeiten lassen, genau geplant und alle Eventualitäten besprochen, um den Mitarbeitenden Sicherheit zu geben. Am Ende des Tages zeigte sich, dass all diese Sorgen unbegründet waren: Die Patientinnen und Patienten sind ganz normale Menschen mit individuellen Lebensgeschichten und harten Schicksalsschlägen. Für das gesamte Team war es ein besonderer Tag, weil der Dental Street Day allen wieder deutlich gemacht hat, warum wir Zahnmedizin machen: um Menschen konkret zu helfen. Im Alltag erleben wir alle dieses Gefühl doch viel zu selten – und es hat uns alle persönlich und beruflich bereichert. Können Sie ein Beispiel nennen, bei dem Ihre Behandlung zu einer sichtbaren Verbesserung der Lebenslage oder Teilhabe geführt hat? Besonders bewegt hat mich eine junge Patientin aus England, Anfang 20, mittel- und obdachlos. Sie hatte keine Zahnschmerzen, aber starke Kiefergelenkbeschwerden. Wir konnten ihr mit einer einfachen Aufbissschiene helfen. Als sie zur Nachkontrolle kam, war sie emotional ergriffen und sagte, es fühle sich so anders an. Solche kleinen Maßnahmen können Großes bewirken. Wie haben Sie die Atmosphäre des Tages empfunden? Gab es besondere Momente, die Ihnen in Erinnerung geblieben sind? Der Tag verlief sehr strukturiert und war von Wohlwollen und Dankbarkeit geprägt. Ein Beispiel: Eine junge Mitarbeiterin war sich zunächst unsicher, ob sie die Patientinnen und Patienten allein zum Röntgen begleiten will. Am Aktionstag meisterte sie diese Aufgabe problemlos und konnte ihre Ängste und Befürchtungen völlig vergessen. Solche kleinen Erlebnisse bleiben lange im Gedächtnis und verdeutlichen, wie bereichernd der Tag für alle Beteiligten war. Sind Situationen aufgetreten, die Sie so nicht erwartet haben, besondere Herausforderungen oder Überraschungen? Überraschungen gab es kaum, weil die Organisationen alles gut vorbereitet hatten – mit Listen der Patientinnen und Patienten, den Beschwerden und nötigen Informationen. Fragen zu Sprachbarrieren und zur Barrierefreiheit wurden im Vorfeld geklärt, das vermittelte Sicherheit und erleichterte den Ablauf. Können Sie schon sagen, ob die Teilnahme Ihre Sicht auf die Versorgung wohnungsloser Menschen oder auf Ihre Rolle als Zahnärztin verändert hat? Ja, der Aktionstag hat uns einen Perspektivwechsel ermöglicht und das Team daran erinnert, warum wir diesen Beruf gewählt haben. Wir arbeiten gerade daran, das Projekt mit anderen Praxen auszuweiten, um wohnungslosen Menschen regelmäßig und flächendeckend eine zugängliche Versorgung im Praxisverbund anzubieten. Das zeigt: Schon kleine zeitliche Ressourcen, etwa zwei Stunden parallel zum laufenden Praxisbetrieb, können viel bewirken – für die Patientinnen und Patienten und für uns als Team. Das Gespräch führte Dr. Nikola Lippe. Dr. Steffi Ladewig, M.Sc. (Zahnärzte Ladewig und Kollegen, Praxis für ganzheitliche Zahnheilkunde, Berlin) war in diesem Jahr mit ihrer Praxis zum ersten Mal beim Dental Street Day dabei. Foto: privat „Am Ende des Tages zeigte sich, dass unsere Sorgen unbegründet waren: Die Patienten sind normale Menschen mit individuellen Lebensgeschichten und harten Schicksalsschlägen.“ Dr. Steffi Ladewig
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