Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 20

54 | ZAHNMEDIZIN zm115 Nr. 20, 16.10.2025, (1700) INTERVIEW MIT PROF. DR. FLORIAN BEUER ZU IMPLANTAT-ÜBERLEBENSRATEN „Wir wissen heute, wie wichtig die Mitarbeit des Patienten ist“ Die Entdeckung der Osseointegration revolutionierte vor knapp 40 Jahren die Zahnmedizin. Wir haben mit Prof. Florian Beuer, wissenschaftlicher Beirat der zm, über die sogenannte Brånemark-Methode gesprochen, mit der es damals gelang, die Lebensqualität von Patienten wiederherzustellen, und die Maßstäbe an Implantationen heute. Über 95 Prozent kumulative Überlebensrate nach fast vier Jahrzehnten. Wie konnte die Brånemark-Methode solche Überlebensraten erzielen? Prof. Dr. Florian Beuer: Die noch unter Beobachtung stehenden Implantate aus der Studie wurden allesamt zum Ersatz von nicht angelegten oder durch Trauma verloren gegangenen Zähnen eingesetzt. Dies stellt die günstigste Voraussetzung für das Implantat dar. Weiterhin waren die Patienten damals, als Implantate noch etwas sehr Exotisches waren, höchstwahrscheinlich maximal zu guter Mundhygiene motiviert und sich des Risikos für den Verlust ihrer Implantate bewusst. Heute sehen wir nicht selten eine Kunden-Mentalität, bei der „ein zahnmedizinischer Full-Service“ verlangt wird – inkludiert ist da die Vorstellung, für ein langes Überleben sei ausschließlich der Behandler zuständig. Zur Nachsorge: Keine Periimplantitis über 40 Jahre hinweg? Hatten die Patienten eine regelmäßige Prophylaxe? Davon steht nichts ausdrücklich im Paper. Vielmehr wird ein durchschnittlicher Plaqueindex von 16 Prozent angegeben, was auf eine gut kontrollierte Mundhygiene hinweist. Allerdings zeigten 67 Prozent der Patienten Blutung auf Sondierung. Hier erkennen wir aber auch, dass Blutung auf Sondierung kein sicherer Prädiktor für einen zukünftigen Implantatverlust ist. EIN TAXIFAHRER ERHIELT DAS ERSTE TITANIMPLANTAT Der schwedische Orthopäde Per-Ingvar Brånemark gilt als Entdecker der Osseointegration und verhalf der von ihm entwickelten Idee von Zahnimplantaten aus Titan Ende der 1970er-Jahre zum Durchbruch. Brånemark studierte Medizin an der Universität Lund und war ab 1969 Hochschullehrer für Anatomie war an der Universität Göteborg. Bereits ab 1952 beschäftigte er sich mit der Blutzirkulation bei der Knochenheilung. Dazu befestigte er in einem Tierversuch ein optisches Messgerät aus Titan am Bein eines Kaninchens, um die Mikrozirkulation zu erfassen. Als er die Apparatur nach einiger Zeit entfernen wollte, war er überrascht, dass sie sich fest mit dem Knochen verbunden hatte. Diese Beobachtung machte er sich zunutze. In Folgestudien ließen sich 20 Studenten für mehrere Monate Titansonden implantieren. Brånemark stellte fest, dass diese Sonden keinerlei Entzündungszeichen oder Abstoßungsreaktionen aufwiesen. In einem von ihm zusammengestellten Team aus Ärzten, Zahnärzten, Ingenieuren, Biologen und Metallurgen forschte er daraufhin zur Titanverträglichkeit im menschlichen Körper. Im Jahr 1965 inserierte er dem schwedischen Taxifahrer Gösta Larsson, der mit einem deformierten Kiefer geboren worden war, weltweit das erste Mal vier Titanimplantate für die Befestigung von Zahnersatz. Larsson war zu dem Zeitpunkt 34 Jahre alt und litt wegen seiner Erkrankung ständig unter Schmerzen im Kiefer, hatte Probleme beim Essen und beim Sprechen. Als er erfuhr, dass der Wissenschaftler Freiwillige für die Implantation künstlicher Zahnwurzeln aus Titan suchte, bot er sich sofort an. Die Implantate blieben über 40 Jahre in situ, bis Larsson 2006 verstarb – eine Überlebenszeit, die noch heute Maßstäbe setzt. Univ.-Prof. Dr. Florian Beuer MME ist Direktor der Abteilung für Zahnärztliche Prothetik, Funktionslehre und Alterszahnmedizin am Centrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Charité – Universitätsmedizin und wissenschaftlicher Beirat der zm. Foto: Privat „Wenn wir unser Wissen mit der Zeit flächendeckend in die Versorgungsrealität bekommen, wird das lebenslang in situ bleibende Implantat der Normalfall werden – da bin ich sehr optimistisch.“ Prof. Dr. Florian Beuer

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=