Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 22

12 | ZAHNMEDIZIN deutlich, dass es in der Tendenz die weniger invasiven Optionen waren, für die sich sich Expertinnen und Experten und auch das befragte Auditorium aussprachen. So wägten die Fachleute über weite Strecken sehr rege das Für und Wider einer Behandlung im konkreten Fall ab, dann stimmte das Publikum über die favorisierte Therapie ab und erst am Schluss wurde der Fall „aufgelöst“. „Ein super Konzept, das auf den Praktiker zielt", freute sich Wiltfang. Wir müssen die sogenannte „Zahnmedizin“ neu denken „Die Forschung zeigt immer deutlicher, dass wir die sogenannte ‚Zahnmedizin‘ neu denken und eigentlich von Oralmedizin sprechen sollten", sagte Wiltfang. „Unser Ziel ist es, die Zusammenhänge zwischen oraler und systemischer Gesundheit besser zu verstehen, Synergien zwischen den Disziplinen zu nutzen und Patientinnen und Patienten ganzheitlich zu versorgen.“ Dabei gehe es nicht nur um neue wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auch um eine veränderte Haltung innerhalb der Profession: „Die Oralmedizin erfordert, dass wir stärker interdisziplinär denken – in Kooperation mit Innerer Medizin, Diabetologie, Onkologie und Kardiologie. Nur so kann zahnärztliches Handeln seinen vollen Beitrag zur Allgemeingesundheit leisten.“ Die Erfolge der zahnmedizinischen Prävention verändern die Behandlungsbedarfe – wo keine Karies ist, muss sie nicht behandelt werden. Das trifft auch für die weitere Behandlungskette zu: „Junge Menschen brauchen heute kaum noch Wurzelbehandlungen aufgrund von Karies. Wir sehen diese Altersgruppe fast nur noch nach dentalen Traumata“, berichtete Dr. Bijan Vahedi, Endodontie-Spezialist aus Augsburg und Vizepräsident der DGZMK. Die Krankheitslast verschiebe sich auf die späteren Lebensjahre, weshalb der Therapiebedarf nicht abnehme, sondern sich verändere und auch komplexer werde. „Wir behandeln heute häufiger ältere Patientinnen und Patienten mit komplexen endodontischen Fällen – etwa Revisionsbehandlungen oder mit altersbedingten verengten Wurzelkanälen“, erläuterte Vahedi. „Die Anforderungen steigen, weil wir Zahnerhaltung auf spezialisiertem Niveau zunehmend auch bei Menschen mit mehreren Begleiterkrankungen zm115 Nr. 22, 16.11.2025, (1862) INTERDISZIPLINÄRE FALLDISKUSSION FRONTZAHNVERLUST DURCH TRAUMA BEI EINER ZEHNJÄHRIGEN PATIENTIN Ein zehn Jahre und vier Monate altes Mädchen wurde aus einer Kinderzahnarztpraxis an das Universitätsklinikum Heidelberg überwiesen. Zwei Jahre zuvor hatte es bei einem Unfall mit einer Schaukel ein Frontzahntrauma erlitten. Damals war sie acht Jahre sieben Monate alt. Dabei avulsierten 11 und 21, zusätzlich bestand ein circa 3 mm langer Lippenriss. Zahn 11 wurde replantiert und endodontisch behandelt, Zahn 21 war nicht replantierbar. Zahn 11 zeigt radiologisch Anzeichen einer Ankylose. Hätte die Situation damals vermieden werden können? Prof. Dr. Gabriel Krastl, Direktor für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie am Universitätsklinikum Würzburg, betonte, dass immer angestrebt werden sollte, einen avulsierten bleibenden Zahn zu replantieren. Entscheidend sei dabei die Schnelligkeit der Intervention. Im vorliegenden Fall war Zahn 11 ankylosiert, was langfristig zu einem vertikalen Knochen- und Weichgewebsverlust sowie einer Infraposition führe – ein besonders kritisches Problem im wachsenden Kiefer. Zur Abschätzung der zu erwartenden Infraposition könne das verbleibende Körperwachstum herangezogen werden: Zehn Zentimeter Körperwachstum entsprechen dabei ungefähr einem bis eineinhalb Millimeter Infraposition, berechnet nach der Formel: (Körpergröße des Vaters + der Mutter ± 13 cm bei Jungen/Mädchen) geteilt durch zwei. Therapieoptionen aus Sicht der Kinderzahnheilkunde… Prof. Dr. Katrin Bekes, Direktorin des Fachbereichs Kinderzahnheilkunde an der Medizinischen Universität Wien, stellte verschiedene Optionen für den Ersatz von Einzelzähnen im Wechselgebiss unter Berücksichtigung funktioneller, phonetischer und psychosozialer Aspekte vor: darunter die Interimsprothese, eine Tiefziehschiene mit Einzelzahnersatz, die Integration eines Prothesenzahns in bestehende kieferorthopädische Apparaturen, ein Provisorium aus der Zahnkrone des verlorenen Zahnes mit Glasfaserstrang-Befestigung als Übergangslösung sowie Adhäsivbrücke oder Milchzahntransplantation. … der Prothetik … Laut Prof. Dr. Stefan Wolfart, Leiter der Klinik für Zahnärztliche Prothetik und Biomaterialien am Zentrum für Implantologie der Uniklinik RWTH Aachen, stellt aus prothetischer Sicht im Wechselgebiss eine provisorische Adhäsivbrücke eine geeignete vorübergehende Lösung dar. VorzugsFoto: Peter Proff Abb. 1: Ausgangssituation zwei Jahre nach Trauma und Replantation von Zahn 11

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