GESELLSCHAFT | 23 als „Mahnung und Verpflichtung zugleich“. Angesichts des beunruhigenden Wiedererstarkens von Antisemitismus in Deutschland stellte Hendges klar, dass KZBV, BZÄK und DGZMK „an der Seite der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland“ stehen. Er rief dazu auf, „die Erinnerung wach zu halten und alles zu tun, um jeder Form des Antisemitismus in unserer Gesellschaft eine klare Absage zu erteilen“. Dr. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, zollte der Zahnärzteschaft Respekt für die Aufarbeitung ihrer Rolle in der NSZeit. Er appellierte ran die Zahnärzteschaft, nun nicht nachzulassen, sondern sich dem wieder zunehmenden Antisemitismus klar entgegenzustellen. „Nie wieder ist jetzt“, betonte Klein und wies darauf hin, dass seit dem 7. Oktober 2023 die Zahl antisemitischer Vorfälle in Deutschland drastisch zugenommen habe. Die Heilberufe müssten mit gutem Beispiel vorangehen. „Ich wünsche mir, dass die Zahnärzteschaft Vorbild bleibt“, machte Klein deutlich. „Erinnerung ist eine Haltung!“ Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, dankte in einer Video-Botschaft dem Medizinhistoriker Prof. Dominik Groß vom Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen für „seine unermüdliche Initiative, wissenschaftliche Präzision und Hartnäckigkeit“. Dass sich die organisierte Zahnärzteschaft mehr als 80 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus ihrer eigenen Verantwortung stellt, verdiene Respekt. Leider gebe es in der Gegenwart wieder Hassparolen gegen Juden. „Erinnerung ist eine Haltung. Hoffentlich schützt sie vor einer Wiederholung der Unmenschlichkeit“, sagte Schuster. Groß fasste wichtige Erkenntnisse des Forschungsprojekts „Zahnmedizin und Zahnärzte im Nationalsozialismus“ zusammen. So sei der Anteil der Zahnärzte, Hochschullehrer und Standespolitiker, die Mitglied der NSDAP waren, mit 50 bis 60 Prozent vergleichsweise hoch gewesen. Als einen Grund dafür nannte Groß die Konkurrenzsituation zwischen Zahnärzten und Dentisten, aber auch die Rolle der Zahnärzte in der Gesundheitserziehung der Bevölkerung. 305 Zahnärzte seien in der Waffen-SS im Einsatz gewesen, etwa 100 waren KZ-Zahnärzte. In diesen Funktionen waren Zahnärzte für Selektionen von Inhaftierten in Konzentrationslagern sowie Zahngoldraub mitverantwortlich. Einige wirkten bei Menschenversuchen mit. Zugleich konnten die Wissenschaftler nachweisen, dass während der NS-Zeit 2.300 Zahnbehandler verfolgt wurden, wegen ihrer jüdischen Herkunft oder aus anderen Gründen. Die meisten verließen Deutschland, knapp ein Viertel wurde deportiert. Nur sechs Prozent der Deportierten hätten überlebt, informierte Groß. ZumAbschlussderVeranstaltungstellte Prof. Dr. Peter Proff, Präsident elect der DGZMK, das Lexikonprojekt vor. Die im Rahmen des Forschungsprojekts dokumentierten Biografien von Tätern, Mitläufern und Opfern unter den Zahnärzten während der NS-Zeit sollen in einem auf acht Bände ausgelegten Personenlexikon erscheinen. Vier der acht Bände sind bereits erschienen. „Diese Gedenkveranstaltung ist kein Schlusspunkt“ Für den Autor des „Opus Magnus“, Dominik Groß, sei das Projekt „eine echte Herzensangelegenheit“. Allein der vierte Lexikonband umfasse über 1.300 Seiten und enthalte 640 weitere Biografien. Wenn es fertiggestellt ist, stehe das umfassendste Nachschlagewerk der NS-Aufarbeitung einer Berufsgruppe zur Verfügung, sagte Proff. „Diese gemeinsame Gedenkveranstaltung ist kein Schlusspunkt, sondern ein weiterer Schritt im fortlaufenden Prozess der Erinnerung und Aufarbeitung. Erinnerung darf kein punktuelles Ereignis bleiben“, sagte BZÄK-Präsident Prof. Dr. Christoph Benz zum Abschluss. „Sie ist Teil unserer beruflichen und gesellschaftlichen Identität – heute und in Zukunft.“ ao zm115 Nr. 22, 16.11.2025, (1873) Der 99-jährige Auschwitz-Überlebende Dr. Leon Weintraub schilderte eindringlich seine Erlebnisse in der NS-Diktatur. Gleichzeitig rief er zu einem friedlichen Zusammenleben auf. HOLOCAUSTÜBERLEBENDER DR. LEON WEINTRAUB „LASST UNS IN FRIEDEN MITEINANDER LEBEN!“ Höhepunkt der Gedenkfeier war das Gespräch zwischen dem Zeitzeugen Dr. Leon Weintraub und Dr. Nico Biermanns von der RWTH Aachen. Der 1926 in Polen geborene Weintraub schilderte seine Erlebnisse in der NS-Zeit. Er erlebte Hunger und Entrechtung und entkam in Auschwitz nur mit Glück dem Tod. Vier von fünf Mitgliedern seiner Familie wurden von den Nazis ermordet. Im Jahr 1940 wurde er mit seiner Familie von den Nationalsozialisten in das Ghetto Litzmannstadt umgesiedelt, wo er als Elektriker Zwangsarbeit leisten musste. Später war Weintraub in mehreren Konzentrationslagern inhaftiert. Nach dem Krieg studierte er Medizin in Göttingen und gründete eine Familie. Anschließend arbeitete er in Warschau als Gynäkologe, bevor er nach Schweden auswanderte, wo er seitdem lebt. „Was ist unsere Erde mehr als ein Stäubchen im Weltall“, fragte der 99-Jährige zum Schluss seiner Schilderungen. Es sei absurd, auf diesem Stäubchen die Einwohner in Gruppen zu unterteilen. „Wir sind alle als Menschen geboren. Lasst uns in Frieden miteinander leben“, appellierte Weintraub an alle. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gedenkveranstaltung, die von seinen Ausführungen tief bewegt waren, dankten ihm mit stehendem Applaus.
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