26 | GESELLSCHAFT ANALYSE DER ZAHNPULPA TOTER SOLDATEN Was Napoléons Armee wirklich vernichtete Nur ein Bruchteil von Napoléons Soldaten kehrte aus dem „Vaterländischen Krieg“ 1812 aus Russland zurück. Jetzt haben Forschende anhand von Zähnen der Toten analysiert, wodurch das Massensterben ausgelöst wurde. Der von Napoléon Bonaparte angeführte Russlandfeldzug im Jahr 1812 endete mit einer militärischen Niederlage, die einen verheerenden Rückzug der Grande Armée zur Folge hatte: Von den 500.000 bis 600.000 Soldaten kehrte nur ein Bruchteil zurück: Allein im Winter 1812/13 starben rund 300.000 Mann – nicht in der Schlacht, sondern durch Kälte, Hunger und vor allem Krankheiten. Ein Armeearzt schrieb, die Soldaten hätten massenhaft an „Typhus, Dysenterie und Diarrhö“ gelitten. Doch diese Begrifflichkeiten waren damals nicht klar abgegrenzt: Jede fiebrige Krankheit konnte als „Typhus“ gelten. Dennoch hielt sich 200 Jahre lang die Vorstellung, dass vor allem Typhus, übertragen durch Läuse, Napoléons Soldaten beim Rückzug aus Russland dahingeraffthabe. Ein Massengrab mit über 3.000 Leichen gab die Hinweise Französische und estnische Forschende haben nun unter der Leitung des Institut Pasteur untersucht, welche Krankheitserreger die schweren Ausbrüche von Infektionskrankheiten verursacht haben könnten, die zu dieser Verwüstung beitrugen. Für ihre Studie analysierten sie die Zähne von 13 Soldaten aus Napoléons Armee, die 2002 bei Ausgrabungen im litauischen Vilnius exhumiert worden waren. Das 2001 entdeckte Massengrab enthielt über 3.000 hastig bestattete Leichen – viele noch in Stiefeln, manche im eiskalten Winter in ihrer Todesposition erstarrt. Das Team extrahierte mikrobielles Erbgut aus der Zahnpulpa, weil sich dort bei systemischen Infektionen Erregerspuren über Jahrtausende ablagern. Anschließend setzten die Wissenschaftler Sequenzierungstechniken der nächsten Generation auf alte DNA ein, um mögliche Infektionserreger zu identifizieren. Entdeckt wurden zwei Infektionserreger, die mit den in historischen Berichten beschriebenen Symptomen korrelieren: Salmonella enterica subsp. enterica (Serovar Paratyphi C), der für Paratyphus verantwortlich ist; und Borrelia recurrentis, der Rückfallfieber auslöst, eine durch Läuse übertragene Krankheit, die durch Fieberschübe gefolgt von Phasen der Remission gekennzeichnet ist. Obwohl diese beiden Krankheiten unterschiedlich sind, können sie ähnliche Symptome wie hohes Fieber, Müdigkeit und Verdauungsprobleme auslösen. Ihr gleichzeitiges Auftreten könnte zur Verschlechterung des Zustands der Soldaten beigetragen haben, zumal sie bereits durch Kälte, Hunger und mangelnde Hygiene geschwächt waren. Paratyphus und Rückfallfieber gaben den Soldaten den Rest Den Typhuserreger Rickettsia prowazekii und den Erreger des Schützengrabenfiebers Bartonella quintana konnten die Forschenden nicht nachweisen. Diese Erreger wurden aufgrund historischer Berichte lange Zeit mit dem Sterben in Während Napoléons Rückzug aus Russland im Jahr 1812 erlagen zahllose Soldaten der französischen Armee Infektionskrankheiten, doch die dafür verantwortlichen Erreger waren lange umstritten. Foto: de Art-stock.adobe.com zm115 Nr. 22, 16.11.2025, (1876)
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=