Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 01-02

zm 108, Nr. 01-02, 16.1.2018, (84) Praxisrelevant und handlungsorientiert: Medizinethik ohne moralischen Zeigefinger! Während in der Medizin seit vielen Jahren ethische Problem- stellungen diskutiert werden, führte „die Ethik in der Zahn- heilkunde im deutschsprachigen Raum vor 2010 ein absolutes Schattendasein“ (S. 3). Mit der Gründung des Arbeitskreises Ethik der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheil- kunde (DGZMK), dem neben Hochschullehrern auch eine große Anzahl niedergelassener Zahnärzte angehört, sowie mit der Veröffentlichung des Lehr- buchs „Ethik in der Zahn- medizin“ [Groß, 2012] rückten verstärkt zahnmedizinisch- ethische Fragestellungen in den Fokus der (fach)öffentlichen Wahrnehmung. Nun erscheint mit dem Themen- heft „Dental Ethics – Ethik in der Zahnheilkunde“ erstmals ein Schwerpunkt zu ethischen Im- plikationen in der Zahnmedizin in der renommierten Fachzeit- schrift „Ethik in der Medizin“. Gastherausgeber sind der Vorsit- zende und die stellvertretende Vorsitzende des AK Ethik der DGZMK, der Aachener Ordina- rius für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Prof. Dr. mult. Dominik Groß, und die Leiterin der Klinik für Alters- und Behindertenzahnmedizin der Universität Zürich, Prof. Dr. Ina Nitschke. In fünf Aufsätzen werden praxis- relevante Themen dargestellt und entsprechende ethische Lösungsansätze skizziert – abge- rundet mit einem Beitrag über die wissenschaftliche Sektion des Arbeitskreises Ethik im Rahmen des Deutschen Zahnärztetages 2016: In ihrer Studie „Diskussion ethischer Aspekte zahnärztlicher Altersschätzung bei jungen Flüchtlingen durch Röntgen- diagnostik“ beleuchten Mathias Wirth, Christoph L. Menzel, Daniela Chan Mi Lee und Heinz- Peter Schmiedebach ein aktuelles brisantes ethisches Dilemma von Zahnärzten. Hintergrund ist, dass noch nicht volljährige Asyl- suchende besondere Rechte und besonderen Schutz genießen. In der Öffentlichkeit wurden die Rolle der Zahnmediziner und die damit einhergehenden ethischen Problemstellungen in diesem Zusammenhang bislang kaum thematisiert, die Autoren geben deshalb einen wichtigen Impuls. Im Aufsatz „Visualisierung und Visualisierungsstrategien in der Zahnheilkunde. Eine normative Analyse“ fokussieren Dirk Leisen- berg und Dominik Groß Ver- fahren der Visualisierung, die sich als Mittel der Darstellung von Befunden gegenüber Patienten innerhalb kürzester Zeit etabliert haben. Gerald Neitzke und Bernd Oppermann diskutieren in ihrem Beitrag „Wunscherfüllende Zahn- medizin: die Indikation als Grund- lage zahnärztlichen Handelns“ die oft schwierige Abgrenzung zahnärztlicher Eingriffe zu kos- metischen Maßnahmen. Beson- ders problematisch gestaltet sich aus Sicht der Autoren die „Grenz- ziehung zwischen rein ästhetisch und kosmetisch motivierten Maßnahmen“ (S. 44). In ihrem Artikel „Ethisches Handeln in der Berufspraxis: Das Triadengespräch als Methode des Lernens aus Misserfolgen“ stellen Mike Jacob und Michael Dick ein Instrument zum Um- gang mit eigenen Fehlern vor. Grundlage ist dabei ein Vergleich zwischen dem „Lernen aus Miss- erfolgen“ und dem „Lernen aus Fehlern“. Ina Nitschke, Dominik Groß und Julia Kunze erläutern ab- schließend „Spezifische Bedarfe bei zahnärztlichen Patienten mit Demenz und ihre ethischen Implikationen“. Gerade in der Seniorenzahnmedizin werden Behandler nicht nur mit Risiko- Nutzen-Abwägungen konfron- tiert, sondern auch mit der Frage „Ist das medizinisch Mögliche auch sinnvoll und im Interesse des Patienten?“ (S. 76). Am Schluss ihrer Ausführungen geben die Verfasser anhand zweier Fallbeispiele ethische Hilfe- stellungen für solche komplexen Behandlungsfälle. Durch die vielfältigen, praxis- relevanten Aspekte spricht das Themenheft einen Leserkreis auch außerhalb der engeren medizinethischen Wissenschafts- community an. Gerade nieder- gelassenen Zahnärzten, die täg- lich mit ethischen Dilemma- Situationen konfrontiert sind und diese meist intuitiv lösen, wird die oft vorhandene latente Angst genommen, sich mit ethischen Fragestellungen aus- einanderzusetzen. Deutlich wird, dass Medizin- ethiker keine „Moralisten“ sind, die mit dem erhobenen Zeige- finger belehren, sondern Hand- lungs- und Problemlösungs- strategien entwerfen, die auch im zahnärztlichen Alltag Platz haben. André Müllerschön, Ralf Vollmuth Dominik Groß, Ina Nitschke (Hrsg.): Themenheft „Dental Ethics – Ethik in der Zahnheilkunde“ Ethik in der Medizin, Band 29, Heft 1. Springer Verlag, Heidelberg, 2017. ISSN: 0935–7335 (Print) 1437–1618 (Online) 47,66 Euro 84 Rezensionen

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