Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 04

zm 108, Nr. 4, 16.2.2018, (239) So verspricht die Gesetzliche Kranken- versicherung (GKV), dass die medizinische Versorgung nach dem individuellen Bedarf erfolgt. Der Versicherungsbeitrag des Mit- glieds richtet sich aber weder nach dem eigenen noch nach dem durchschnittlichen Kostenrisiko, sondern nach der Höhe des beitragspflichtigen Einkommens. Es liegt auf der Hand, dass dies für widersprüchliche Verteilungswirkungen sorgen kann. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Funktions- weisen treten zudem Brüche zwischen dem gesetzlichen Umlagesystem und der kapital- gedeckten privaten Alternative auf. Da überrascht es nicht, dass sich die Debatten regelmäßig in dem Dickicht aus Verteilungs- und Versicherungsfragen verstricken. In Deutschland hat der Gesetzgeber eine Krankenversicherungspflicht für alle Bürger vorgeschrieben. Aus gutem Grund, denn sobald sich eine Gesellschaft aus humanitä- ren Gründen bereit erklärt, Bedürftigen eine notwendige medizinische Versorgung im Zweifel auch bei fehlender Zahlungsfähig- keit zu gewähren, droht die Gemeinschaft der Steuerzahler durch Freifahrerverhalten ausgebeutet zu werden. Wer hinreichend leistungsfähig ist, eine eigene Versicherung abzuschließen, dies aber im Vertrauen auf die Hilfe der Gesellschaft unterlässt, würde im Erkrankungsfall dem Gemeinwesen ohne Not zur Last fallen. Kämen alle Leistungs- fähigen auf diese Idee, drohte den Steuer- zahlern die Überforderung. Eine bevölkerungsweite Versicherungspflicht genügt allerdings noch nicht dem Anspruch einer Bürgerversicherung. Denn das Schutz- interesse der Gesellschaft gilt gegenüber allen Bürgern. Tatsächlich räumt der Gesetz- geber aber etwa einem Zehntel der Bevölke- rung das Privileg eines Wahlrechts zwischen der umlagefinanzierten gesetzlichen Ver- sicherung und der kapitalgedeckt finanzier- ten privaten Krankenversicherung (PKV) ein. Dies ist weder mit dem Erwerbsstatus noch mit der Höhe des Arbeitsentgelts zu begrün- den und lässt sich nur aus der Historie erklären. Die Bürgerversicherung: Was ist das überhaupt? Mit der Idee einer Bürgerversicherung wird deshalb die Vorstellung beworben, alle Bürger in einem einheitlichen System abzusichern. Dies ist nicht mit einer Ein- heitsversicherung zu verwechseln, denn ein bevölkerungsweites System lässt sich auch mit konkurrierenden Versicherungsanbietern Bürgerversicherung Keine Antwort auf Fehlsteuerungen Debatten über die Bürgersicherung münden seit rund 15 Jahren immer wieder in einen emotional aufgeladenen Schlagabtausch. Das liegt sicherlich daran, dass die Positionen für und wider Bürgerversicherung von parteipolitischen Wertvorstellungen geprägt sind, aber auch an den Besonderheiten des deutschen Gesundheitssystems. Die Vielzahl der Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit die GKV durch die Ausweitung zu einer Bürgerversicherung entlastet würde, deutet eher auf Forschungs- statt auf Handlungsbedarf hin. Foto: Jenny Sturm_Fotolia Diskussionen um die Bürgerversicherung begleiten uns nun schon gut 15 Jahre und inzwischen stellt sich eine gewisse Müdigkeit bei diesem Thema ein. Sind nicht bereits alle Argumente ausge- tauscht, alle Szenarien durchgerechnet, alle Optionen auf Umsetzbarkeit abge- klopft? Bereits während der rot-grünen Regierungszeit im Jahre 2004 hatte eine SPD-Arbeitsgruppe unter Andrea Nahles Mühe, die wichtigen Eckpfeiler Versicher- tenkreis, Beitragssatz, Beitragsbemes- sungsgrenze überhaupt zu benennen. Das grundlegende Koordinatensystem rund um GKV und PKV hat sich seitdem nicht verändert. Warum also die ständi- gen Diskussionen über die Bürgerversi- cherung? Zunächst klingen die gesundheitspoliti- schen Forderungen sehr plausibel und nähren Hoffnungen auf mehr Gerechtig- keit im Solidarsystem. Bei näherem Blick offenbaren sich dann die oft keineswegs erstrebenswerten Konsequenzen von Einheitsversicherung bis einheitlicher Gebührenordnung. Die folgenden Beiträge beleuchten wichtige Aspekte der aktuellen Debatte. Thema Bürgerversicherung 14 Politik

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