Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 07

zm 108, Nr. 7, 1.4.2018, (641) Da den Leser besonders der Satz erregt, dass ich selbst meinem Zahnarzt „blind vertraue“, fange ich mal bei mir selbst an: Ich habe lange für die Zahnarztsuche gebraucht. Denn es ist fast egal, zu wem ich mich begebe, stets will man mir fünf bis zehn Zähne reparieren. Das ist reproduzierbar – ich habe mich schon als Test- patient in den Zahnarztstuhl ge- setzt, als zahnärztliche Gutachter keinen Behandlungsbedarf sahen. Mein Hauszahnarzt verfolgt die Strategie des Abwartens und Be- obachtens – damit fahre ich seit mittlerweile zehn Jahren sehr gut. Mein Zahnstatus war in der Jugend unterdurchschnittlich, heute liege ich laut Mundgesundheitsstudie deutlich besser als meine Alters- gruppe. Ein stiller Zeuge für die Richtigkeit der Strategie Abwarten ist mein oberer rechter zweiter Molar – den wollten in den Jahren 1988 bis 2008 acht Zahnärzte aufgrund einer Fissurenverfärbung aufbohren (die Befunde habe ich vor einigen Jahren zusammen- gestellt). Mein Zahn 17 überlebte bis zum Jahr 2015 unbeschadet, seitdem trägt er eine einflächige Füllung. Leider wird mein Zahn- arzt bald in Ruhestand gehen und ich habe wirklich Angst davor, weil ich in der freien Zahnarzt-Prärie so viel erlebt habe. Hier spreche ich als Patient und möchte ernst genommen werden. Meine Erlebnisse passen zu dem Schlüsselsatz meines Artikels, der bei vielen zahnärztlichen Lesern zu Wutausbrüchen führte: „Diagnose- und Therapiewillkür in der Zahn- medizin sind gut belegt.“ Zuge- geben: Ich belege diesen Kernsatz im Text nicht ausreichend, weil es ermüdend ist, immer wieder auf die gleichen Untersuchungen zu verweisen. Hier folgt die Auf- listung von neun Untersuchungen wissenschaftlicher Institute, Zahn- ärzte, Verbraucherzentralen und Printmedien aus den Jahren 1999 bis 2015, für die insgesamt 418 Zahnärzte mit 67 Testpatienten bzw. deren Befunden konfrontiert wurden. Immer waren besonders qualifizierte zahnärztliche Gut- achter beteiligt, deren Urteil für die Ergebnisse ausschlaggebend war. Die Zahnärzteschaft hat sich also selbst bewertet, und die Ergeb- nisse der Untersuchungen legten stets Qualitätsmängel offen: • Schon die professionelle Zahn- reinigung wird „in den meisten Fällen mittelmäßig bis schlecht“ durchgeführt, wie StiftungWaren- test 2011 und 2015 nach zusammen- genommen 15 Praxisbesuchen herausfand. Vor allem in den Zahnzwischenräumen blieb die Hälfte der Beläge haften. • Grundannahmen wie „gemein- same Befunderhebungsmethoden, gleicher Befund, gleiche Therapie, vergleichbare Heil- und Kosten- pläne etc.“ treffen „in einem hohen Maße nicht zu“, urteilten das In- stitut für angewandte Verbraucher- forschung, IFAV, und das Wissen- schaftliche Institut der AOK, WidO, im Jahr 1999 auf der Basis von 199 Zahnarztbesuchen durch 20 Test- patienten. Große Defizite traten vor allem in der Qualität der Befunderhebung auf. Die Schät- zungen der Material- und Labor- kosten in den Heil- und Kosten- plänen waren nicht transparent. • Die Zeitschrift Ökotest schickte einen Testpatienten zu 20 Zahn- ärzten, deren Urteile von „kein Behandlungsbedarf“ bis „aufwen- diger Sanierungsfall“ variierten und die für ihre Therapievor- schläge Kosten zwischen 175 und 9.131 Euro veranschlagten (April-Ausgabe 2004). • Prof. Hans Jörg Staehle, Direktor der Unizahnklinik Heidelberg, prüft seine Kollegen seit vielen Jahren mit der Fallgeschichte einer 59-

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