Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 10

zm 108, Nr. 10, 16.5.2018, (1110) Zahnnichtanlagen sind mit einer Prävalenz von 5,5 Prozent die häufigste Fehlbildung des Menschen. Der Schweregrad variiert von Einzelzahnaplasien bis hin zum kom- pletten Fehlen aller Zähne (Anodontie). Das Fehlen von weniger als sechs bleibenden Zähnen ist als Hypodontie und von sechs und mehr fehlenden bleibenden Zähnen als Oligodontie definiert. Zahnnichtanlagen können isoliert non-syndromal oder im Rahmen von syndromalen Erkrankungen auftreten, von denen die ektodermale Dys- plasie am häufigsten ist. In der vollen Aus- prägung der ektodermalen Dysplasie fehlen den betroffenen Menschen Schweißdrüsen (sie können nicht schwitzen), sie haben schütteres Haar, deformierte Nägel und plumpe zapfenförmige Zähne (Taurodontis- mus) sowie eine typische Physiognomie mit reduzierter Untergesichtshöhe. Auch wenn das Vollbild nicht ausgeprägt ist, können Patienten mit multiplen Zahnnichtanlagen durch gentechnische Abklärung an einem humangenetischen Institut häufig dem Formenkreis der ektodermalen Dysplasie zu- geordnet werden. Die Nichtanlagen treten meistens imWechsel- gebiss, also in der Kindheit vor dem zwölften Lebensjahr ins Bewusstsein der Kinder und Eltern. Die Kinder haben in dieser Phase ohnehin Zahnlücken und sind an den Zustand fehlender Zähne gewöhnt, weil sie nie etwas anderes kennengelernt haben. Der Leidensdruck ist häufig anders gelagert als bei Erwachsenen, denen Kaueinheiten aus dem vorhandenen Bestand verloren gegangen sind. Andererseits ist eine frühe kaufunktionelle und ästhetische Rehabili- tation aus funktionellen und entwicklungs- psychologischen Gründen spätestens in der Pubertät anzustreben. In Deutschland be- steht die Ausnahmeregelung, dass Zahn- implantate nach § 28 SGB V unter bestimm- ten Bedingungen von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden können. Nach der Richtlinie gemäß § 92 SGB V des Gemeinsamen Bundesausschusses ist dies als seltene Ausnahmeindikation in besonders schweren Fällen vorgesehen, zu denen im Wortlaut die „generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen“ bei Fehlen einer konventionell prothetischen Alternative gehört. Die Interpretation dieser Richtlinie und die Empfehlung zur Genehmigung der Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen erfolgen stets nach Prüfung des Einzelfalls durch Gutachter der kassen- zahnärztlichen Vereinigungen. Therapieoptionen bei Nichtanlagen Die therapeutischen Mittel des Zahnersatzes bei Zahnnichtanlagen umfassen unter an- derem Zahnimplantate, die Erhaltung per- sistierender Milchzähne (das Milchgebiss ist kaum von Nichtanlagen betroffen), die Autotransplantation von Zähnen, die kon- ventionelle Prothetik ohne Zahnimplantate (inklusive Klebebrücken) und den kiefer- orthopädischen Lückenschluss. Invasive zahnprothetische Maßnahmen im Kindes- und Jugendalter sind aus verschiedenen Gründen schwieriger als bei Erwachsenen, zum Beispiel weil kindliche Zähne wegen der noch ausgedehnten Pulpenhöhlen und der noch weiten Dentintubuli kaum und nur unter Risiko als prothetische Pfeiler zur Aufnahme von Zahnkronen beschliffen wer- den können und weil sich die Kieferform durch das Wachstum ständig ändert. Unter den Therapieoptionen sticht die Autotrans- plantation heraus, weil sie ohne prothetische Fremdmaterialien und deren Kosten und Neue S3-Leitlinie Zahnimplantatversorgungen bei multiplen Zahnnichtanlagen und Syndromen Hendrik Terheyden, Jan Tetsch In der Implantologie gilt die Regel, Implantate erst nach dem Abschluss des Wachstums zu setzen. Dennoch kann es im Fall von Zahnnichtanlagen Gründe für eine frühzeitige kaufunktionelle Rehabilitation mit Implantaten geben. Die im März dieses Jahres veröffentlichte Leitlinie enthält Empfehlungen für die Abwägung der verschiedenen Therapieoptionen bei Zahnnichtanlagen. Symbolfoto: Alexandr Mitiuc - Fotolia.com 86 Zahnmedizin

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