Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 17

zm 108, Nr. 17, 1.9.2018, (1912) B. arbeitet seit etwa einem Jahr als Vor- bereitungsassistentin in der Praxis. Inhaber Dr. M., der sich vor etwa 25 Jahren in der Kleinstadt niedergelassen hat, pflegt zwar vordergründig einen liberal-kollegialen Führungsstil, lässt aber keinen Zweifel auf- kommen, dass er als Chef auch betriebswirt- schaftliche Interessen verfolgt. Eines Tages stellt sich die 62-jährige Frau P. bei Zahn- ärztin B. vor. Die Patientin befindet sich seit vielen Jahren bei Dr. M. in Behandlung. Während eines Kontrolltermins vor vier Wochen hatte er einen prothetischen Behandlungsbedarf erkannt und ihr ent- sprechend erläutert. Bedingt durch eine anstehende längere Urlaubsreise wollte P. die Maßnahme nun umgehend durchführen lassen. Allerdings war es nicht möglich, zeit- nah einen entsprechenden Termin bei Dr. M. zu finden. Frau P. erklärte sich daher ein- verstanden, dass die Assistenzzahnärztin die Therapie übernimmt. Im Arzt-Patienten-Gespräch mit B. berichtet Frau P., Dr. M. habe ihr die Überkronung zweier gefüllter Zähne – die erneut kariös seien – dringend empfohlen; aufgrund des großen, bereits bestehenden Substanz- verlusts sei eine erneute konservierende Therapie nicht mehr möglich. Im Rahmen der Befundaufnahme zeigt sich, dass die in Rede stehenden Zähne 25 und 26 lediglich mit mittelgroßen Füllungen versorgt sind: Neben einer alten okklusal-distalen Komposit- füllung am Zahn 25 ist die mesial-okklusale Amalgamfüllung an 26 gebrochen. Beide Ver- sorgungen weisen Randspalten und Zeichen einer Sekundärkaries auf. ImWiderspruch zu ihrem Chef, der die Patientin ausschließlich über eine prothetische Therapie aufklärte und dies auch entsprechend in der Behand- lungskarte dokumentierte, ist sich die junge Zahnärztin sicher, beide Zähne weniger invasiv mit plastischem Füllungsmaterial versorgen zu können. Sie sucht das Gespräch mit Dr. M., um mit ihm das weitere Vorgehen zu besprechen. Dieser macht ihr deutlich, dass er eine Über- kronung weiterhin für notwendig erachtet und es sich bei Frau P. um seine Patientin handelt, die er bereits entsprechend auf- geklärt habe. Gleichzeitig gibt er B. zu ver- stehen, dass sie später in ihrer eigenen Pra- xis solch eine Entscheidung anders treffen könne, er aber jeden Monat seine Praxis zu finanzieren habe, was im Übrigen auch ihr recht ordentliches Gehalt umfasse. B. ist sich sicher, dass der notwendige Zahn- hartsubstanzverlust eine Überkronung auf keinen Fall rechtfertigen würde und befindet sich im Zwiespalt. Wie kann sie einen mög- lichen Vertrauensverlust von P. in ihren lang- jährigen Zahnarzt nach Aufzeigen einer neuen Behandlungsoption verhindern? Wäre es falsch, die Kronenversorgung bei der Patientin – trotz fachlicher Zweifel und entgegen der eigenen Überzeugung – im Hinblick auf die gesamt- wirtschaftliche Lage der Praxis zu präparieren? Muss sie die Äußerung von Dr. M. als Anweisung verstehen oder kann sie davon abweichen? Oberfeldarzt Dr. André Müllerschön Sanitätsversorgungszentrum Neubiberg Werner-Heisenberg-Weg 39, 85579 Neubiberg andremuellerschoen@bundeswehr.org Foto: [M] iStockPhoto.com - sasun1990 Porträt: privat 72 Praxis Die klinisch-ethische Falldiskussion Therapieentscheidung pro Finanzen oder pro Patient? André Müllerschön, Bernd Oppermann, Ralf Vollmuth Assistenzzahnärztin und Chef sind sich uneins, wie sie eine langjährige Patientin behandeln sollen: Während er eine Überkronung für notwendig hält, befürwortet sie eine Versorgung mit plastischem Füllungsmaterial. Schließlich argumentiert er, dass die Kollegin später in ihrer eigenen Praxis solch eine Entscheidung anders treffen könne, er als Inhaber aber eine Praxis zu finanzieren habe – inklusive ihres recht ordentlichen Gehalts!

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