Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 17

zm 108, Nr. 17, 1.9.2018, (1914) therapie entscheidet. Die Füllungstherapie entspricht damit dem Gebot des Nicht- schadens. Benefizienz (ärztliche Verpflichtung auf das Wohl des Patienten): Das Gebot des Wohltuns erfährt durch die Vermeidung der genannten Risiken und den geringeren Behandlungsaufwand der Füllungstherapie hinreichend Beachtung. Gerechtigkeit/Fairness gegenüber Dritten: Auch dem vierten Prinzip wird die Füllungs- therapie gerecht. Sie belastet beispielsweise im Rahmen der GKV-Versorgung die Solidar- gemeinschaft geringer und verbraucht ins- gesamt weniger Ressourcen. Fazit/Handlungsempfehlung: Nach Abwägung der genannten Argumente ist die Entscheidung der Zahnärztin B. zahn- medizinisch und ethisch gerechtfertigt, die Füllungstherapie als die geeignete Therapie- maßnahme anzusehen. Es bleibt aber noch der praxisinterne Konflikt zwischen ihr und ihrem Chef Dr. M. zu klären. Unabhängig davon, dass jede Praxis betriebswirtschaftlich erfolgreich arbeiten muss, um die Existenzgrundlage der Praxis- betreiber und ihrer Mitarbeiter zu gewähr- leisten, bleibt festzustellen, dass die Zahn- heilkunde kein Gewerbe ist. Dies bedeutet, dass der wirtschaftliche Erfolg der Praxis zwar grundlegend wichtig ist, sich aber der Ausübung der Zahnheilkunde nach wissen- schaftlichen Erkenntnissen unterzuordnen hat. Daher muss sich B. auch aus diesen Gründen für die Füllungstherapie ent- scheiden. Fachliche Anweisungen des Vor- gesetzten dürfen nicht dem Gesetz zur Aus- übung der Zahnheilkunde widersprechen. Würde B. blind der Weisung ihres Chefs folgen, hätte sie im Zweifelsfall selbst mit juristischen Konsequenzen zu rechnen. Aller- dings sollte sie vor dem Aufklärungsgespräch mit Frau P. in einem kollegialen Gespräch mit Dr. M. ihre Argumente darstellen und auch aufzeigen, dass Kompositfüllungen bei ent- sprechender Honorierung wirtschaftlich sein können. Da Dr. M. einen „liberal-kollegialen Führungsstil“ pflegt, kann davon ausge- gangen werden, dass durch ein klärendes Gespräch ein Konsens erzielt wird. Prinzipiell ist das Offenlegen von Interessenkonflikten gegenüber der Patientin ethisch gerecht- fertigt. Inwieweit aber hierdurch eine Stö- rung des Vertrauensverhältnisses zwischen Dr. M. und Frau P. verhindert werden kann, bleibt offen. Trotz eines möglicherweise vor- handenen Konfliktpotenzials der Situation muss das Patientenwohl weiterhin an oberster Stelle stehen. Dr. Bernd Oppermann Bahnhofsallee 33 31134 Hildesheim bernd.oppermann.za@arcor.de In der geschilderten Situation sind bei der ethischen Bewertung zwei Ebenen zu unter- scheiden: Im Fokus steht einerseits das Verhältnis der beiden Zahnärzte – Praxis- inhaber und angestellte Zahnärztin – zur Pa- tientin im Hinblick auf eine ethisch vertret- bare Versorgung und ein vertrauensvolles, ungestörtes Arzt-Patient-Verhältnis. Die zweite Ebene bildet hingegen das Binnen- verhältnis dieser beiden Zahnärzte, das sich wiederum mehrschichtig darstellt und zum einen durch das hierarchisch strukturierte Angestelltenverhältnis der Zahnärztin B. beim Praxisinhaber Dr. M. gekennzeichnet ist, dem zum anderen aber auch eine kollegiale Stellung auf Augenhöhe innewohnt. Meines Erachtens sind die Sachverhalte unter Anwendung der Prinzipienethik von Beauchamp und Childress folgendermaßen zu beurteilen: Nach den Grundsätzen des Nicht-Schadens- gebots hat die Patientin Anspruch auf eine Versorgung, die eine dauerhafte und zuver- lässige Wiederherstellung der betroffenen Zähne und deren Funktion umfasst. Eine Übertherapie unter Opferung gesunder Zahn- hartsubstanz ist hier ebenso zu vermeiden wie beispielsweise Füllungen, die zur Insta- bilität der Zähne führen oder deren kurz- bis mittelfristige Erneuerungsbedürftigkeit be- reits zum Zeitpunkt der Therapie abzusehen ist. Diese grundsätzliche Forderung gehorcht auch dem Wohltunsgebot , um der Patientin sowohl unnötige expansive Behandlungs- sitzungen im Rahmen der Übertherapie als auch etwaige Füllungsverluste mit den entsprechenden Beschwerden und Folge- behandlungen zu ersparen. Dass bei der Diagnosestellung die Grenzen zwischen Kommentar 2 „Hierarchien heben nicht die Eigenverantwortung auf!“ Haben Sie in der Praxis eine ähnliche Situation oder andere Dilemmata erlebt? Schildern Sie das ethische Problem – die Autoren prüfen den Fall und nehmen ihn gegebenenfalls in diese Reihe auf. Kontakt: Prof. Dr. Ralf Vollmuth vollmuth@ak-ethik.de Schildern Sie Ihr Dilemma! A UFRUF Foto: privat 74 Praxis

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