Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 20

zm 108, Nr. 20, 16.10.2018, (2376) Metamizol ist in Deutschland schon seit fast 100 Jahren im Handel. Es wird auch als Novaminsulfon-Natrium bezeichnet, ein bekannter Handelsname ist Novalgin ® . Auf- grund der guten Wasserlöslichkeit eignet sich der Wirkstoff gut zur Herstellung flüs- siger Arzneiformen: zur oralen Gabe in Form von Tropfen oder zur intravenösen Injektion. Nicht zuletzt wegen dieser Zubereitungs- formen ist der Wirkstoff nach wie vor ein beliebtes Arzneimittel. Innerhalb von zehn Jahren haben sich die Verordnungszahlen mehr als verdoppelt, im Jahr 2016 wurden mehr als 200 Millionen Tagesdosen im Be- reich der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnet. Dies ist bemerkenswert, weil es seit Langem Bestrebungen gibt, den Verbrauch von Metamizol einzudämmen, denn Metamizol kann in seltenen Fällen eine immunologisch bedingte Agranulozytose induzieren. Liegt die Anzahl der neutrophilen Granulozyten im peripheren Blut bei weniger als 1.500 pro µl Blut spricht man von einer Neutropenie, bei < 500 pro µl von einer Agranulozytose. Ein erhöhtes Risiko für schwere Infektionen be- steht vor allem, wenn weniger als 100 Neu- trophile pro µl Blut vorhanden sind. Ein Mangel an Granulozyten erhöht das Infektionsrisiko. Initial können eine Ver- schlechterung des Allgemeinbefindens, Ab- geschlagenheit und Fieber auftreten, letzteres auch als einziges Symptom (Tabelle 1). Oft wird fälschlicherweise an einen grippalen Infekt gedacht, da unspezifische Symptome wie Halsschmerzen, Schluckbeschwerden, Schüttelfrost sowie Muskel- und Gelenk- schmerzen auftreten können. Typisch sind auch Entzündungen und Ulzerationen der Schleimhäute (ulzeröse Stomatitis, Pharyn- gitis, Tonsillitis, Proktitis). Bei Patienten mit einer Agranulozytose kann es schließlich durch das geschwächte Immunsystem zu einer Sepsis kommen. Maßnahmen zur Einschrän- kung des Verbrauchs Wegen des Risikos lebensbedrohlicher Blut- bildveränderungen wurden Metamizol- haltige Präparate in den 1970er-Jahren in vielen Ländern vom Markt genommen. Wegen der grundsätzlichen Schwierigkeiten, die bei einer Erfassung von sehr seltenen un- erwünschten Wirkungen bestehen, sind die Ergebnisse der epidemiologischen Studien teilweise widersprüchlich. Eine aktuelle Stu- die aus Deutschland soll hier etwas näher betrachtet werden. Zwischen 2000 und 2010 wurden in 51 Ber- liner Krankenhäusern alle Patienten erfasst, bei denen eine Agranulozytose vorlag. Von insgesamt 88 Fällen wurde bei 26 Patienten – 19 Frauen und 7 Männern – ein Zusam- menhang mit Metamizol gesichert. Frauen waren also deutlich häufiger als Männer be- troffen. Die Inzidenz der Nebenwirkung lag bei etwa 1 auf 1 Million pro Jahr. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hat mehrfach auf das Risiko der Agranulozytose nach Metamizol hingewiesen. Die Kommission betont, dass parallel zur Zunahme der Metamizol-Ver- ordnungen eine Zunahme der Spontan- meldungen von Agranulozytosen durch Metamizol zu verzeichnen ist. Die Zahl der Meldungen lag in den vergangenen Jahren bei über 30 pro Jahr. Insgesamt sind in den vergangenen 20 Jahren etwa 400 Verdachts- meldungen von Metamizol-induzierten Agranulozytosen erfasst worden, mit einem tödlichen Ausgang in etwa 20 Prozent der Fälle. Der große Anteil von letalen Verläufen ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass schwer beziehungsweise tödlich ver- laufende Fälle eher als unkomplizierte Ver- läufe gemeldet werden. Bereits 1987 hatte das damals zuständige Bundesgesundheitsamt die Zulassung für alle Metamizol-haltigen Kombinationsprä- parate widerrufen. Darüber hinaus wurden die Indikationen für die Monopräparate ein- geschränkt auf \ akute starke Schmerzen nach Verletzungen oder Operationen, Die Arzneimittelkommission Zahnärzte informiert Metamizol – aktuelle Anmerkungen zu einem „alten“ Arzneimittel Ralf Stahlmann, Monika Daubländer Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hat mehrfach auf das Risiko der Agranulozytose nach Metamizol hingewiesen, dennoch sind die Verordnungszahlen in den vergangenen Jahren stark gestiegen. In der Folge wurden die Indikationen eingeschränkt. Durch die strikte Formulierung soll eine breite Verwendung etwa bei Kopf- oder Zahnschmerzen vermieden werden. Mögliche Symptome einer Agranulozytose Typische Symptomtrias Fieber (ggf. als einziges Symptom!) Halsschmerzen, Angina tonsillaris Entzündliche Schleimhautläsionen Weitere Symptome Abgeschlagenheit (schweres) Krankheitsgefühl Schüttelfrost Stomatitis aphthosa Schmerzhafte Schluckstörung Myalgien, Arthralgien Tabelle 1; Quelle: mod. nach Stamer et al., 2017 84 Zahnmedizin

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