Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 20

zm 108, Nr. 20, 16.10.2018, (2378) Es gibt Kurzzeiteinsätze (mehrere Wochen) Langzeiteinsätze (Monate bis Jahre), Kata- stropheneinsätze und Einsätze nach Kata- strophen, gemeinsame Aktionen mit Partner- organisationen, Einsätze mit Studenten- gruppen, Einsätze auf Schiffen, die für eine gewisse Zeit in Hafenstädten festmachen, Einsätze zur Schulung der Partner im Land und die Zahnklinik auf Rädern (Dentomobil). Gemeinsam ist allen die Vorbereitung und Klärung der Arbeitsbedingungen vor Ort, das Erlernen der Sprache, die Aneignung der kulturellen Besonderheiten und der Kennt- nisse über Religion und Tabus. Ich meine, diese Vorbereitung sollte auch die ethischen Rahmenbedingungen ein- schließen, also einen Handlungsrahmen definieren, innerhalb dessen zahnärztliche Behandlungsmaßnahmen durchgeführt werden. In der Regel werden wir im Praxis- alltag in Deutschland selten mit ethischen Fragestellungen direkt konfrontiert, noch seltener wird nach unseren Überzeugungen gefragt, die die Basis unseres Handeln sind. Ganz anders, so meine Erfahrung, ist es bei Menschen, die in einem abgelegenen Be- reich unseres Globus vor uns sitzen und uns beim Ausüben unseres Berufs beobachten. „Warum machst du das?“, „Warum nimmst du so einen langen Weg auf dich, um mir hier zu helfen?“, „Wer bezahlt dich?“, „Warum kommst du aus Europa hierher?“ – herausfordernde Fragen, die ehrlich beant- wortet werden sollten. Spätestens jetzt wäre es gut, wenn wir uns grundsätzlich Gedanken gemacht haben über den hier angesprochenen ethischen Rahmen. Der ethische Rahmen von Beauchamp und Childress Ich beginne mit dem ethischen Rahmen, wie er von Beauchamp und Childress 1977 formuliert wurde. Danach sind folgende vier Grundsätze auch für unser zahnärztliches Handeln besonders wichtig: die Autonomie des Patienten, das Gebot des Wohltuns, das Gebot des Nichtschadens und das Gebot zur Fairness. Es entsteht ein Handlungsrahmen, der nicht dogmatisch einengt, sondern allen Beteiligten die Verantwortung aufzeigt für eine in jeder Beziehung angemessene Handlungsweise. Das Gebot der Autonomie Die Autonomie des Patienten beruht neben der Würde auf dem Selbstbestimmungsrecht. Grundlage für den Patienten ist dafür eine ausreichende und angemessene Information über den zu entscheidenden Sachverhalt. Nach einer ausreichenden Beratung über das Behandlungsziel, die Alternativen, die Therapieschritte, Risiken und Kosten muss der Patient seine Zustimmung geben – oder ablehnen. Üblicherweise sprechen wir aber nicht die Sprache der einheimischen Bevöl- kerung in Afrika, Asien oder Lateinamerika. Deshalb rate ich, sich frühzeitig um einhei- mische Übersetzer zu bemühen – manchmal benötigen wir sogar zwei Übersetzungen: in die Landessprache und in die Stammes- sprache. Im nächsten Schritt sollte man sich die wichtigsten Sätze – von der Begrüßung über Anamnese, Befund, Therapie, Ver- haltensregeln bis zur Verabschiedung – notieren und wenn nötig in Lautschrift dazuschreiben, um die nötige persönliche Beziehung zu den Patienten herzustellen. Das macht den Übersetzer nicht unnötig, da es ja noch genügend weitere Fragen gibt, aber es entlastet. Von den Patienten bekommen wir (oft) Dinge zu hören, die wir nicht in unsere medizinisch und rational geordnete Welt einordnen können. Der Respekt gebietet, diesen Standpunkt des Patienten unkom- mentiert zu lassen und zugleich mit unserem medizinischen Sachverstand einfach und klar zu formulieren und Ursachen und Therapieoptionen darzustellen. Selten werden wir bei zahnärztlichen Einsät- zen in abgelegenen Gebieten verschiedene Therapieoptionen anbieten können und den Patienten über Alternativen beraten. Trotzdem gibt es diese – und wenn es nur die Option ist, nicht zu behandeln. Je nach Ethische Überlegungen zu zahnmedizinischen Hilfseinsätzen Der Kopf muss bereit sein Joachim Kauffmann Wer zu einem Hilfseinsatz aufbricht, hat seinen Koffer gepackt, eine Praxisvertretung organisiert, die Industrie um Unterstützung angeschrieben und seine Lieblingszange eingesteckt. Alles richtig, alles wichtig. Aber nicht genug. Habe ich mich auch richtig eingestellt? Bin ich vorbereitet auf Fragen, die für mich Selbstverständliches anzweifeln? Kurz: Wie sieht mein ethisches Fundament aus? Trotz intensiver Aufklärung in ihrer Muttersprache und geduldiger Beratung konnte sich die Patientin nicht entscheiden, ihren schmerzenden Zahn ziehen zu lassen – und ging mehrere Stunden Fußmarsch wieder nach Hause. 86 Praxis

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