Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 23-24

zm 108, Nr. 23, 1.12.2018, (2758) -24, 1 12.2018, (2758) Abbildung 2b: Funktionsregler nach Fränkel, Typ FR-1 in situ: Die abstehenden Lippen- pelotten im Unterkiefer unterstützen die Unterlippe und verhindern die interinzisale Einlagerung der Weichteile. ratsam, um gegebenenfalls rechtzeitig Platz schaffende Maßnahmen einleiten zu können. \ Beurteilung der Okklusion Neben der Beurteilung der Platzverhältnisse sollte auch die Okklusion in allen drei Di- mensionen (vertikal, transversal und sagit- tal) überprüft werden, denn bereits in dieser frühen Phase können Dyskinesien und statische Funktionsstörungen die Ent- wicklung nachhaltig stören [Grabowski, 2007]. Ungünstige Umwelteinflüsse und Milieufaktoren spielen bei vielen kiefer- orthopädischen Anomalien eine wichtige Rolle, wobei es oft schwierig ist, den Anteil von umweltbedingten Faktoren/Milieu- faktoren und genetischer Disposition exakt zu bestimmen. Allerdings wird der offenen Mundhaltung, die mit einem inkompetenten Lippenschluss und kaudaler Zungenruhe- lage vergesellschaftet ist, ein besonders nachteiliger Einfluss auf die physiologische Entwicklung zugeschrieben. Besonders häu- fig werden bei diesen statischen Haltungs- schwächen das Auftreten eines transversal unterentwickelten Oberkiefers, ein vergrö- ßerter oder reduzierter Overjet sowie ein offener Biss beobachtet [Grabowski, 2008]. Insbesondere beim offenen Biss wirkt sich zudem eine gewohnheitsmäßige oder ana- tomisch bedingte Mundatmung nachteilig auf die vertikale Entwicklung des Gesichts aus [Linder-Aronson, 1983]. Bei Verdacht auf eine anatomisch bedingte Mundatmung sollte zusätzlich HNO-ärztlich überprüft werden, ob organische Blockaden beseitigt werden können. Persistierende Lutsch- gewohnheiten können ebenfalls einen un- günstigen Einfluss auf den orofazialen Rei- fungsprozess nehmen [Dausch-Neumann, 1983]. Neben einer vergrößerten Front- zahnstufe (Abbildung 2) oder einem anterior offenen Biss als direkte Lutschfolgen erfolgt zudem meist keine Umstellung auf ein somatisches Schluckmuster, wobei diese sekundären Lutschfolgen später nur schwer und nur mit hohem Aufwand therapiert werden können [Cozza, 2005]. Auch hierbei kann zum Beispiel das Eingliedern einer Mundvorhofplatte (MVP) als interzeptive Maßnahme das Abgewöhnen von Gebiss schädigenden Gewohnheiten unterstützen [Dausch-Neumann, 1983]. Lateraler Kreuzbiss / lateraler Zwangsbiss Besonders wichtig ist aus zahnärztlich- kieferorthopädischer Sicht die Beurteilung der lateralen Okklusionsverhältnisse [Kahl- Nieke, 2015]. Der unilaterale Kreuzbiss kommt ungefähr viermal häufiger vor als der bilaterale [Schopf, 2003]. Bei 80 Prozent der Kinder mit einseitigem Kreuzbiss tritt eine funktionelle Unterkieferabweichung auf [Kurol, 1992] und die Unterkiefermitte verschiebt sich dabei zur Kreuzbissseite [Santos Pinto, 2001] bei gleichzeitig asym- metrischer Kondylenposition. Diese reflek- torische Einnahme der Kreuzbissstellung ver- größert die Anzahl der Okklusionskontakte, mit der Gefahr, dass nach kurzer Zeit diese transversale Fehlstellung des Unterkiefers neuromuskulär fixiert wird. Bei Belassen des Kreuzbisses kann eine skelettale Manifesta- tion der Asymmetrie und eine dauerhafte Abweichung der Kinnmitte von der Gesichtsmitte resultieren [Hesse, 1997; O`byrn, 1995]. Erfolgt keine frühzeitige Therapie, besteht zudem die Gefahr einer Wachstumshemmung im Bereich der im Kreuzbiss „eingefangenen“ Oberkieferseite. Eine kieferorthopädische Frühbehandlung Abbildung 1: 6 Jahre und 5 Monate alte Patientin mit lückigen Milchzahnreihen (physiologisch) in Oberkiefer (a) und Unter- kiefer (b): Die Lücken dienen den breiteren permanenten Nachfolgern als Platzreserve beim Zahnwechsel (Pfeile: Primatenlücken). Abbildung 2a: Über den Frontzahnwechsel hinaus persistierendes Lutschhabit bei einer 7-jährigen Patientin: Der intraorale Befund zeigt die extrem vergrößerte sagittale Front- zahnstufe (Overjet =12mm) bei annähernd neutraler Okklusion im Seitenzahngebiet. Abbildung 2c: Endbefund mit 11 Jahren und 9 Monaten: Aufgrund des frühen Behand- lungsbeginns und dem dadurch positiven Be- einflussen der Weichteile und des Wachstums, konnte auf den Einsatz einer festsitzenden Multibracket-Apparatur verzichtet werden. a b a b c 42 Fortbildung Kieferorthopädie

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=