Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 10

zm 109, Nr. 10, 16.5.2019, (1108) In der Zahnarztpraxis Dr. H. einer deutschen Kleinstadt erscheint ein junger Mann aus Sierra Leone ohne Termin zur Schmerzbe- handlung. Auf dem Anamnesebogen ist nur ein nicht entzifferbarer Name zu erkennen und die angegebene Telefonnummer be- steht aus Buchstaben und Zahlen. Als Asyl- bewerber ist er offizielles AOK-Mitglied. An- dere Felder des Anamnesebogens füllt er nicht aus. Er spricht kein Deutsch und nur ganz wenige Worte Englisch; lediglich sein Herkunftsland Sierra Leone kann der Patient dem Praxispersonal mitteilen. Die zahnärztliche Untersuchung ergibt einige kariöse Läsionen sowie einen größeren Defekt und eine Schwellung am Zahn 16. Darüber hinaus hat der Patient gelblich ge- färbte Augäpfel und offene, nässende Stellen am Gaumen. Eine digitale Panoramaschicht- aufnahme bestätigt die tiefe, bis in die Pulpa reichende Läsion an dem besagten Molaren. Zahnärztin Dr. H. führt schließlich eine Lo- kalanästhesie sowie eine maschinelle Wur- zelkanalaufbereitung mit NiTi-Feilen und elektrischer Längenmessung durch. Erst all- mählich kommen ihr Zweifel, ob ihr Verhalten angemessen war, da die Möglichkeit einer potenziell ansteckenden Krankheit bestand. Ein Telefonat mit der AOK ergibt darüber keinen weiteren Aufschluss – bis auf den Hinweis, dass der Patient bei einem Internisten vorstellig war. Das folgende Telefonat mit dem Kollegen ergibt, dass der Patient ein einziges Mal bei ihm gewesen ist und mit Gesten auf Schmerzen im Bereich des Ober- Die klinisch-ethische Falldiskussion Patient mit hohem Infektionsrisiko: Darf man die Schmerzbehandlung ablehnen? Stephan Grassl, Gereon Schäfer, Ralf Vollmuth Ein junger Mann aus Sierra Leone kommt ohne Termin zur Schmerzbehandlung. Er hat gelblich gefärbte Augäpfel sowie offene, nässende Stellen am Gaumen. Handelt die Zahnärztin korrekt, indem sie die Schmerzbehandlung durchführt? Oder nimmt sie vielmehr das Risiko ansteckender Krankheiten für sich selbst und ihr Personal fahrlässig und unrechtmäßig in Kauf? Experten präsentieren Fälle mit ethischem Klärungsbedarf. Adobe Stock/pablobenii

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