Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 10

zm 109, Nr. 10, 16.5.2019, (1109) kiefers aufmerksam zu machen versuchte. Der Internist lehnte daraufhin eine weitere Untersuchung wegen fehlender Informatio- nen ab, verschrieb ihm nur Novalgin-Tropfen zur Schmerzlinderung und schickte ihn in die Praxis Dr. H. Eine Recherche beim Aus- wärtigen Amt über die Gefährdung in Sierra Leone hinsichtlich ansteckender Krankheiten ergibt neben der Empfehlung von Standard- impfungen auch das Risiko von Hepatitis A und B, Meningokokken vom Serotyp A, C, W135 und Y, Tollwut, Typhus, Dengue-Fieber sowie flächendeckend und ganzjährig Mala- ria tropica (meist tödlich für nicht immuni- sierte Europäer), zudem für Cholera, HIV, bis 2016 Ebola, Affenpocken, die Wurminfektion Schistosomiasis (Bilharziose) und Lassa-Fie- ber. Daraufhin bittet Dr. H. den Patienten, mit einem Übersetzer wiederzukommen. Dr. H. stellen sich nun folgende Fragen: Hat sie korrekt gehandelt, indem sie die Schmerzbehandlung durchführte? Oder nahm sie vielmehr das Risiko ansteckender Krankheiten für sich selbst und ihr Personal fahrlässig und unrechtmäßig in Kauf? Und hätte sie schließlich die Behandlung guten Gewissens sowie ethisch und rechtlich kor- rekt auch ablehnen können? Dr. med. dent. Stephan Grassl Praxis Dr. Ludwig Bauer Neuburger Straße 49, 94032 Passau sgrassl@outlook.de Patienten mit infektiösen Krankheiten er- scheinen täglich in unseren Sprechstunden, letztlich ist jeder Mensch potenziell anste- ckend. Darum wurden über die Jahrzehnte immer ausgefeiltere Infektionsschutzmaß- nahmen und -richtlinien entwickelt, deren Befolgung für die Erhaltung der Gesundheit unserer Patientinnen und Patienten sowie unseres gesamten Praxisteams unverzichtbar ist. Kaum beherrschbar sind jedoch Tröpf- cheninfektionen vor dem Behandlungskon- takt: während der Begrüßung sowie im Bereich der Anmeldung und der Wartezone. Eine Infektion kann also auch bereits im Falle der Ablehnung einer Behandlung übertragen werden. Wie könnten Zahnmediziner die Ablehnung der Behandlung – insbesondere einer Not- fallbehandlung – rechtfertigen? Hinweise hierzu gibt die Berufsordnung (hier für die saarländischen Zahnärzte): „I. §2 (5) Der Zahnarzt kann die zahnärztli- che Behandlung ablehnen, wenn a) eine Behandlung nicht gewissenhaft und sachgerecht durchgeführt oder b) die Behandlung ihm nach pflichtgemä- ßer Interessenabwägung nicht zugemutet werden kann oder c) er der Überzeugung ist, dass das notwen- dige Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Patienten nicht besteht. Seine Verpflichtung, in Notfällen zu helfen, bleibt davon unberührt.“ Was lässt diesen Patienten im Vorfeld der Be- handlung als dermaßen infektionsgefährlich erscheinen, dass seine Behandlung unzu- mutbar scheint, also letztlich seine Isolie- rung und die Meldung an die zuständige Gesundheitsbehörde erforderlich wäre? Die gelblichen Augäpfel? Wohl kaum! Es werden auch keine Symptome wie Abgeschlagen- heit, Fieber, starke Schweißabsonderung, Husten, Niesen, Kopfschmerzen oder Exan- theme beschrieben, die den Verdacht auf eine schwerwiegende Infektionserkrankung erhärten. Bei der intraoralen Untersuchung, die im Behandlungsbereich unter Infektionsschutz- bedingungen durchgeführt wird, kann die eigentliche Schmerzursache offensichtlich schnell und eindeutig ermittelt werden, da- neben zeigen sich mehrere Enantheme am Gaumen, welche tatsächlich Ausdruck einer infektiösen Erkrankung sein können. Nun kommt die fehlende Information auf- grund der Sprachbarriere zum Tragen: Wir wissen so gut wie nichts über den Patienten, seine Anamnese und seinen Willen. Der Pa- tient wiederum weiß so gut wie nichts über seine Diagnose, die Behandlungsmöglich- keiten und die Funktionsweise unseres Ge- sundheitssystems. Die Unwissenheit führt zu Angst beim Be- handlungsteam und beim Patienten. Dies ist keine gute Vertrauensbasis. Die Fallvignette stellt die Perspektive und Angst des zahn- ärztlichen Praxisteams plastisch dar. Sie führt zu Telefongesprächen mit der AOK und dem behandelnden Internisten – Hand- lungen, die mit der ärztlichen Schweige- pflicht und auch mit dem Selbstbestim- mungsrecht des Patienten nicht vereinbar sind. Besonders schwer wiegt dabei das Aus- tauschen von Informationen über den Ge- sundheitszustand des Patienten, für das sicherlich von seiner Seite keine Einwilligung vorliegt. Auch die Darstellung der Recherche-Ergeb- nisse beim Auswärtigen Amt klingt angstbe- laden und bedarf einiger Relativierung: Die Wurminfektion Schistosomiasis (Bilharziose) setzte das Eindringen der Wurmlarve voraus und erfolgt nur im Kontakt mit Süßwasser. Hepatitis A und B, Tollwut, Typhus, Dengue- Fieber, Malaria, Cholera, HIV und Ebola be- nötigen zur Übertragung den direkten Kon- takt mit Ausscheidungen beziehungsweise Körperflüssigkeiten; Lassa-Fieber ist zusätz- lich erst nach dem Fieberausbruch aerogen übertragbar. Die höchste Ansteckungsge- fahr besteht bei auch in Europa vorkom- menden Meningokokken durch Übertra- gung von oropharyngealen Sekreten bei engen Kontaktpersonen. Affenpocken sind insbesondere in der präeruptiven Phase, die mit hohem Fieber einhergeht, ansteckend. Stellen wir uns die Frage, ob wir bei einem Bürger der Europäischen Union mit ähnli- cher Symptomatik, welcher der deutschen Kommentar von Dr. Gereon Schäfer „Hätten wir bei einem EU-Bürger mit ähnlicher Symptomatik auch solche Angst?“ 47 Praxis

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